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Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland

Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland

Titel: Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland
Autoren: Tanja Weber
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in genau die kontemplative Stimmung, mit der er den Tag beginnen wollte. Im Geiste rechnete Stifter auf diesem Weg hoch, wie lange er für die Tour brauchen würde. Er hatte die Post im kleinen Amt von Lohdorf sortiert und, wie es für seinen zwanghaften Charakter typisch war, gezählt. Er wusste, wie viele Sendungen er in welcher Straße austragen musste. Er wusste ebenfalls, ob die zeitraubenden Adressen dabei waren. Im Falle seiner Tour, die ihn von der Chamisso- durch die Adalbert-Stifter-Straße,den Brentanoweg über den Novalisplatz bis zur Wettersteinstraße führte, waren das weniger die Mehrfamilienhäuser mit den unzähligen Briefkästen als vielmehr Grundstücke, deren Briefkästen gut versteckt hinter einer langen Auffahrt lagen. Oder Bewohner, die zu prominent waren, um ihre Namen an das Klingelschild zu schreiben. Oder sich zumindest für zu prominent hielten. Oder Wachhunde hatten, die mit ihren gefletschten Zähnen nach ihm schnappten, wenn er es wagte, die Post in den Briefkastenschlitz zu schieben, und seine Hand nicht schnell genug zurückzog. Aber er hatte hier keine Plattenbauten, im Gegensatz zu Germerow, wo er noch letztes Jahr als Austräger tätig gewesen war. Oder wie in Französisch-Buchholz in Berlin, zu Beginn seiner Arbeit als Briefträger. Hier, in Lohdorfs bestem Viertel, gab es nur Einoder Zweifamilienhäuser, schlimmstenfalls Doppelhaushälften. Nicht einmal Reihenhäuser. Hier oben wohnte man für sich. Allerdings war die Architektur durchmischt und bot ein buntes Bild. Villen vom Beginn des neunzehnten Jahrhunderts, mit schweren Schindeldächern und Stuckbordüren über dem hölzernen Entree, oftmals verborgen hinter dichtgewachsenen Wildfruchthecken, standen Schulter an Schulter mit kleineren Siedlungshäusern aus den dreißiger bis fünfziger Jahren. Auch diese befanden sich auf lang hingestreckten Grundstücken, häufig mit Obstbaumbestand, Johannis- und Stachelbeerhecken. Eine Lehre aus der Zeit während und nach dem Krieg, als auch die Bewohner dieser Häuser sich um Lebensmittel sorgen mussten. In den siebziger und frühen achtziger Jahren folgte der mondäne Bungalowbau. Weiße, minimalistische Gebäude, flach geduckt zwischen Koniferen, umgeben von schweren Zäunen aus dunkelgebeiztem Holz. Gekieselte Dächer, schmaleFenster, die Sauna im Souterrain mit Ausblick auf den Ziergarten. Neu hinzugekommen waren die eckigen Holz-Glas-Kuben, umrandet von Edelholzveranden, die von der breiten Doppelgarage zum japanischen Koi-Teich führten.
    Regmaiers bewohnten so einen Architekten-Kubus, und sie waren der dritte Haushalt auf Stifters Tour. Herr und Frau Regmaier waren erst kürzlich nach Lohdorf gezogen, das Haus wirkte fast noch unbewohnt, der Garten war eine Erdwüste. Die Kinder der Regmaiers spielten ausschließlich auf der Holzterrasse, denn dort standen zwei große Plastikautos, die den VW Beetle nachbildeten. Stifter, der das Haus der Regmaiers des Öfteren zum immer gleichen Zeitpunkt anfuhr, kam auch dieses Mal gerade wieder dazu, wie Herr Regmaier seine Frau umarmte, die beiden kleinen Jungs küsste und sich dann mit seiner Aktentasche zur Doppelgarage begab. Er hatte das Tor bereits per Funk geöffnet, jetzt schwang es sanft nach oben und gab den Blick auf den bronzefarbenen Porsche Cayenne frei. Herr Regmeier warf die Aktentasche auf den Beifahrersitz, glitt rückwärts die Auffahrt hinunter, winkte seiner Familie und gab dann Gas. Schnell entfernte sich der schwere Wagen durch die stillen Straßen des Viertels. Frau Regmeier zog die Buben ins Haus, schloss die Tür hinter sich, und Stifter fuhr weiter zu den nächsten Grundstücken. Augenthaler, Seifert, Kunz. Es war ein Montagmorgen und alle Welt unterwegs. Die Kinder in Schule und Kindergärten, die Werktätigen in der Arbeit. Hinter den Fassaden der Häuser und auch auf den Straßen regte sich nur wenig Leben. Ein vereinzeltes Auto dann und wann, eine alte Dame, die ihren Pinscher ausführte, eine junge Frau mit Kinderwagen. Mehr Leben fand nicht statt, aber Stifter empfanddas weder als langweilig noch als bedrohlich, er genoss den Frieden.
    *
    Die Rippen des alten Heizkörpers schnitten in seinen Rücken. Wenn er die Muskulatur anspannte, hielt er es aus, aber er trieb das Spiel nun schon so lange, dass die Muskeln zu zittern begannen, wenn er versuchte, sie hart zu machen. Er konnte sich hinlegen, auf den Rücken, auf die linke Seite, auf den Bauch. Aber er lag seit vielen Stunden auf dem kalten Betonboden, hatte
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