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Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland

Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland

Titel: Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland
Autoren: Tanja Weber
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vergessen, die er nun noch nachtrug. Manche Kollegen beließen diese Sendung einfach in der Tasche und teilten sie am nächsten Tag aus, aber das brachte er nicht über sich. Er fand, die Dinge sollten geregelt sein.
    Sein Fahrrad stellte er auf dem Posthof ab, dann machte er sich zu Fuß auf den Heimweg. Er wohnte nicht direkt im Ort, sondern hatte Quartier bei Familie Lanz bezogen, die gut einen Kilometer außerhalb in einem eingemeindeten Dorf wohnte. Er liebte es, die Strecke zu Fuß zu gehen, ein langer schnurgerader Kiesweg führte durch die Felder, unterbrochen nur von einer mächtigen Kastanie mit Holzbänken darum. Familie Lanz bewohnte ein altes Bauernhaus, das bereits bei ihrem Einzug vor zwanzig Jahren baufällig gewesen war und es auch bleiben würde. Auf dem großen Grundstück, wo unter Holunderbüschen alte Landmaschinen vor sich hin rosteten, stand ein Gartenhaus, ein besserer Schuppen, denhatte Stifter für achtzig Euro monatlich zuzüglich Strom-, Heiz- und Wasserkosten gemietet. Als er herzog, hatte er noch fünfhundert Euro draufgelegt, dafür hatte ihm Andreas Lanz, der Hausherr, eine Toilette und eine Dusche installiert. Stifter heizte mit Holz, den Ofen hatte er sich selbst besorgt. Holz war reichlich vorhanden, die Lanzens hatten Schlagrecht im angrenzenden Forst. Rings um das alte Bauernhaus, an jeder Schuppen- und Scheunenmauer, waren die Scheite gestapelt, und alle in der Familie wussten, welcher Stapel schon wie lange lagerte und ordentlich durchgetrocknet war oder auch nicht. Johannes Stifter hätte sich ohne weiteres eine kleine Wohnung in Lohdorf leisten können, aber Mehrfamilienneubau war seine Sache nicht. In Germerow hatte er eine alte Datsche bewohnt, nah beim See, mit eigenem kleinem Grund. Er hatte sie verkauft, nachdem es ihm unerträglich geworden war, dort länger zu leben. Nach allem, was vorgefallen war. Seine Freunde, allen voran Ewald und die rote Edith, hatten an seiner Zurechnungsfähigkeit gezweifelt, als er verkündet hatte, dass er ausgerechnet im bayerischen Oberland eine Stelle annehmen werde. In einem von der CSU regierten Bundesland, in dem es ihrer Meinung nach – und einzig die zählte – nur sturschädelige Stammtischdiskutanten oder ignorante Besserverdienende, ganz sicher aber keine vernünftigen Menschen gab! Aber dann erinnerte sich Ewald eines alten Gesinnungsgenossen aus der marxistisch-leninistischen Wohngemeinschaft, die er in den späten Siebzigern in Freiburg bewohnt hatte. Der Bayer war damals eine Ausnahmefigur unter den intellektuellen Studenten gewesen, er war ein Grüner der ersten Stunde, ein Schreiner, der in Freiburg an der Restauration einer Kirche mitgearbeitet hatte. Kurze Zeit später war Andreas Lanz nach Bayern zurückgekehrt,hatte seine Jugendliebe Kyra geheiratet und mit ihr vier Kinder bekommen: Zora, Jeremias, Noah und Rubina. Ewald und Andreas hatten den Kontakt nie ganz abreißen lassen, obwohl der Bayer sich von seiner kommunistischen Frühphase abgewandt hatte und sich dem praktischen Engagement als Grüner widmete: Er hatte gegen Wackersdorf protestiert, war aktiver Kernkraftgegner und der erste Grüne im Lohdorfer Gemeinderat. Ewald dagegen, der mit seiner Ost-Liebe Edith ein Antiquariat im Prenzlauer Berg führte, war nach der Freiburger KP-Kommune in die Kreuzberger Hausbesetzerszene eingetaucht und stolz darauf, die verquastetsten Flugblätter der Berliner Vorwendezeit verfasst zu haben. Seine politisch aktive Phase lag nun, mit Anfang fünfzig, hinter ihm, aber wenn er des Abends in geselliger Runde dem Rotwein zusprach, begann er, lange Tiraden über den Klassenkampf zu halten – bis Edith mit dem feuerroten Haar ihn sanft am Ärmel zupfte, ihm etwas ins Ohr flüsterte und ihn auf das Sofa des Antiquariats bettete, damit er die vier Treppen zu seiner Altbauwohnung nicht mehr erklimmen musste. Andreas Lanz dagegen, der über die Jahre einen eigenen Schreinerbetrieb aufgebaut hatte und zwei Gesellen beschäftigte, war nie ein Mann des Wortes, sondern der Taten gewesen. Die Partei hatte er trotz Illusionsverlusts nicht verlassen und war noch immer politisch aktiv. Die wiedererstarkte Anti-Atomkraft-Bewegung hatte ihm ihre Popularität im Landkreis zu verdanken, und wann immer es eine Demo zu organisieren gab, war Andreas vorne mit dabei. Vor fünf Jahren hatte er damit geliebäugelt, in Lohdorf als Bürgermeister zu kandidieren, aber dem hatte seine Frau Kyra einen Riegel vorgeschoben. Sie war das Kraftzentrum der
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