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Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland

Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland

Titel: Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland
Autoren: Tanja Weber
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Familie. Sie machte die Buchhaltung in der Schreinerei, aber das war fürsie reine Nebenbeschäftigung. Hauptberuflich pendelte sie, legte Tarotkarten, heilte durch Reiki-Massage und hatte ihre vier großen Kinder fest im Griff. Abends war sie es, die für sich und Andreas einen Joint drehte, damit sie beide nach dem hyperaktiven Tag in den Schlaf finden konnten. Als der Anruf von Ewald gekommen war, dass ein Freund eine Unterkunft suchte, hatten beide nicht lange gezögert und ihr Gartenhäuschen angeboten – in welchem über die Jahre hinweg immer der eine oder andere mittellose Freund gehaust hatte.
    Als Stifter mit seinen wenigen Habseligkeiten angekommen war – sie passten in einen geliehenen Ford-Transit –, war er ohne große Präliminarien herzlich aufgenommen worden. Stifter war das zunächst zu eng und familiär gewesen, aber mit der Zeit wusste er die Familienanbindung durchaus zu schätzen. Sowohl Andreas als auch Kyra konnten hervorragend kochen, und da sie jeden Abend große Mengen für die Familie zubereiteten, fiel fast immer eine Portion für ihn ab. Stifter wollte das nicht annehmen, aber er spürte, dass Kyra seine Ablehnung als Beleidigung auffasste, also fügte er sich. Er revanchierte sich damit, dass er Rubina und Noah Nachhilfe erteilte. Mit Deutsch und Mathe hatte es angefangen, aber nun waren noch Englisch und Französisch hinzugekommen. Jeden zweiten Nachmittag oder Abend saß einer der beiden Teenager bei ihm und plagte sich stöhnend durch die bayerischen G8-Hausaufgaben. Noah kam am häufigsten. Er war fünfzehn und in der neunten Klasse. Er hatte lange Haare, die ihm schräg ins Gesicht fielen, war dünn und schlaksig mit eckigen Schultern. Er war mitten im Stimmbruch, aber Noahs Kopf weigerte sich, sich von der Kindheit zu verabschieden, und Stifter hatte das Gefühl, dass der Bald-Erwachsenebei ihm Unterschlupf suchte, um sich vor dem Erwachsenwerden zu verstecken. Als Noah Stifters Vinyl-Sammlung entdeckte, war er außer sich gewesen, und Stifter spielte stolz bei jedem Besuch eine andere Jazz-Platte vor. Obwohl er als Erwachsener nie Kontakt zu Jugendlichen gehabt hatte – keiner seiner Bekannten hatte große Kinder –, war er zu keinem Zeitpunkt beklommen im Umgang mit Noah. Er hatte sich vielmehr selbst in dem Jungen erkannt. Wenn sie ihre Pflicht, die Paukerei, erledigt hatten, hörten sie zusammen Musik. Stumm, jeder in Gedanken versunken. Irgendwann ging Noah, wortlos, ohne sich zu verabschieden, er hob nur kurz eine schlaffe Hand und schlurfte hinüber zu seiner Familie.
    Als Stifter nun, nach dem Erlebnis mit Annette von Rechlin, auf das Lanzsche Bauernhaus zusteuerte, hoffte er insgeheim, dass er heute keine Nachhilfe würde geben müssen. Er hatte auch seine Idee, zum See zu fahren, verworfen. Stattdessen würde er Erskine Petersen auflegen, eine Selbstgedrehte rauchen und sich hinter seinem Haus in den alten Liegestuhl legen. Eine Halbe Helles trinken und einschlafen. Von Annika träumen und vergessen, was er heute gesehen hatte.
    *
    Sie hatte die Augen fest geschlossen und bemühte sich, in stetigem Rhythmus ruhig zu atmen, sich in den Schlaf zu atmen. Aber der Schlaf wollte nicht kommen. Er war ein seltener Gast bei Beate Klinger. Früher, als sie noch gearbeitet hatte, war sie erschöpft ins Bett gefallen, hatte die Augen zugemacht und wie ohnmächtig bis zum nächsten Morgendurchgeschlafen. Als Klaus geboren wurde, war es mit dem Schlaf vorbei gewesen. Anfangs war es das Stillen, später hatte er nächtelang geweint, dann folgten seine Träume. Immer wieder war sie aufgestanden und zu ihm gegangen, stets darauf bedacht, Julius nicht zu wecken, der einen harten Arbeitstag vor sich und auf seiner Nachtruhe bestanden hatte. Als Klaus ihres nächtlichen Beistandes nicht mehr regelmäßig bedurfte, war sie, trotz abendlicher Erschöpfung, nicht mehr in der Lage gewesen, in der Nacht Ruhe zu finden. Sie hatte es sich angewöhnt, erst ins Bett zu gehen, wenn Julius im Tiefschlaf war. Dann konnte sie es wagen, die Nachttischlampe anzumachen und noch zu lesen. Nicht nur einmal war sie über ihrem Roman eingeschlafen, die Lampe noch immer eingeschaltet. Aber seit Julius nicht mehr praktizierte, hatte auch er mit Einschlafschwierigkeiten zu kämpfen und wurde wach, sobald sie den Versuch unternahm, das Licht anzuschalten. Er hatte sie gebeten, das zu unterlassen, und selbstverständlich war sie dem nachgekommen. Und nun, in diesen schwierigen Zeiten, war an Schlaf nicht mehr
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