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Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland

Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland

Titel: Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland
Autoren: Tanja Weber
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über ihren weißen Seidenpullover ergossen hatte.

2.
    Sie schlug ihrer Tochter hart ins Gesicht, aber es kam wie immer kaum eine Reaktion. Annette war so schwach. Sie war zu schwach, um sich zu wehren. Sie hatte sich noch nie gewehrt. Immer wieder klatschte Gudruns knochige Hand gegen die Wangen ihrer Tochter, die sich den Schlägen ergab. Gudrun hatte nichts als Verachtung für ihre Tochter übrig. Dass sie ihr das antat! Dass sie sie sogar den mitleidigen Blicken eines Fremden aussetzte! Was hatte der Mensch hier überhaupt zu suchen?
    »Gehen Sie. Gehen Sie!« Gudrun von Rechlin versuchte, diesen fremden Mann mit dem gelben T-Shirt aus dem Zimmer zu scheuchen, aber der starrte auf Annette. Auch so ein Schwächling, das erkannte sie auf den ersten Blick. »Hauen Sie ab, das geht Sie nichts an!«, setzte sie nach, aber der Mann reagierte nicht auf sie.
    »Ich muss den Notarzt rufen«, stammelte er. Das war das Letzte, was sie gebrauchen konnte. Ärzte, vielleicht die Polizei, Fragen, Aufsehen. Niemand hatte in ihrem Haus etwas verloren, und daran war nur diese verdammte Henne schuld. Gudrun ging nach nebenan ins Badezimmer, nahm eines der Handtücher und ließ kaltes Wasser darüberlaufen. Dann kehrte sie ins Schlafzimmer zurück.
    Der Mann hatte sich zu Annette gehockt, er sprach mit ihr und fühlte ihren Puls. Dann schob er sie behutsam in die stabileSeitenlage. Warum verschwand er nicht endlich? Gudrun presste ihrer Tochter das kalte nasse Handtuch aufs Gesicht, bis diese endlich reagierte und abwehrend die Hände hob. Na endlich, es war auch Zeit, dass die wieder zu sich kam. Blöde Kuh. Der Mann zog ein Telefon aus seiner Hosentasche und begann eine Nummer einzutippen, aber Gudrun schlug mit dem nassen Handtuch danach, so dass es ihm aus der Hand fiel und unter das Bett rutschte.
    »Sind Sie verrückt?«, blaffte der Fremde sie an.
    »Wir brauchen keinen Arzt. Das kommt jeden dritten Tag vor. Und jetzt hauen Sie endlich ab, ich will keine Gaffer.« Es fiel ihr schwer, sich zusammenzunehmen. Am liebsten hätte sie ihn getreten, ihm das Gesicht zerkratzt, ihn angeschrien. Aber sie konnte sich durchaus mäßigen.
    »Ihre Tochter braucht Hilfe! Sie hat einen schwachen Puls und …«
    »Sie hat sich betrunken!« Ihre Stimme schnappte über. »Sie hat Tabletten genommen, dann hat sie wieder getrunken.« Gudrun spürte, wie das Zittern wiederkam, das Wutzittern, sie hatte wirklich genug am Hals, sie brauchte niemanden hier, sie kriegte Annette wieder hin, wie immer. »So, wie sie es jeden Abend tut, verstehen Sie? Jeden Abend! Sie säuft! Begreifen Sie das nicht?!« Ihre Kehle brannte bei der Schreierei, aber sie konnte sehen, dass der Mann vor ihr zurückwich. Wie auf Kommando kam Annette wieder etwas zu sich, versuchte, sich auf ihrem Unterarm abzustützen. Ihre schweren Lider hoben und senkten sich vor Anstrengung. Dieser Postbote nahm Annettes Hand, aber Gudrun schlug sie weg.
    »Sie sind doch nicht ganz dicht. Ich ruf jetzt die Polizei.« Was fiel dem Kerl denn ein? Der machte wieder Anstalten, nach seinem Handy zu fischen.
    »Wenn Sie das tun, zeige ich Sie an wegen Hausfriedensbruch. Sie sind hier eingedrungen.« Das Zittern wurde immer stärker, und Gudrun spürte, dass ihr Herz raste. Aber sie hatte schon Schlimmeres gemeistert, sie würde diesen Wurm hier aus dem Haus bekommen. Das war es immer noch: ihr Haus.
    »Mama«, Annette lallte und tastete mit ihrer vollgekotzten Hand nach ihr, »lass.«
    Der Mann hatte sein Handy wieder aufgehoben und starrte Annette an. Er hatte Mitleid, aber das brauchten sie nicht. Kein Mitleid. Sie würde es auf die andere Art versuchen.
    »Wollen Sie, dass man sie so sieht?« Gudrun zeigte auf Annette, die den Kopf kaum heben konnte, immer wieder fiel er vornüber, das Kinn auf ihr eigenes Erbrochenes. Dass sie sich nicht schämte. »Wollen Sie sie dem wirklich aussetzen?« Es gelang Gudrun kaum, die Härte in ihrer Stimme zu mildern, aber ihre Worte drangen vor, sie würden ihr Ziel erreichen. Er würde Leine ziehen.
    Noch zögerte er jedoch. Er hatte sein Mobiltelefon unter dem Bett hervorgeholt und hielt es in der Hand, jederzeit bereit, die Nummer zu wählen. Er sah Annette an, Sorge im Blick.
    »Sie können mir helfen, sie bei mir drüben aufs Sofa zu legen, dann kann ich hier saubermachen«, setzte sie nach. Im gleichen Augenblick bereute sie, das gesagt zu haben. Es war nicht gut, wenn er durchs Haus ging. Lag noch etwas herum? Konnte er etwas sehen, was er nicht sehen
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