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Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland

Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland

Titel: Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland
Autoren: Tanja Weber
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Daunendecke, mit ihren Bettschuhen und der Angorajacke, und dachte mit offenen Augen an Ostpreußen zurück. Was gäbe sie dafür, das Land ihrer Kindheit, in dem sie unbeschwert und glücklich gewesen war, wie später nie wieder, noch einmal sehen zu können. Auch die Zeit danach hatte sie klar vor Augen, auch wenn sie sich nicht gerne daran erinnerte. Aber damals, auf der Flucht und später, als sie bei Fremden unterkamen, bis sie sich eine Behausung organisiert hatten, hatte Gudrun all das gelernt, was sie jetzt wieder brauchen konnte. Kaffee aus Kartoffelschalen zubereiten. Zuckerersatz aus Rüben kochen. Gemüse ziehen, Strümpfe stopfen und einen Rock aus einer Männerhose schneidern.
    Annette hatte so eine Kindheit nicht gehabt. Sie war in den Sechzigern und den Siebzigern aufgewachsen. Eine degenerierte Zeit. Kitzbühel, Saint Tropez, die Malediven. Überall waren sie gewesen. Das Leben ein einziger Urlaub. Sie hatte Pelz getragen und Diamanten. Vergessen waren die mageren Zeiten, und sie hatte alles, was Volkmar ihr geboten hatte, bereitwillig angenommen, weil sie das Gefühl gehabt hatte, entschädigt zu werden. Gudrun fand, dass der Reichtum, den Volkmar um sie herum anhäufte, eine Art Wiedergutmachung für die Zeit nach dem Krieg darstellte. Und sie war schließlich adelig, des Gutsbesitzers Tochter – hatte sie etwas anderes verdient? Vom ersten Augenblick, als sie Volkmar kennenlernte, am 5. Mai 1947 im Münchener Hofgarten, hatte er ihr die Welt zu Füßen gelegt. Vielleicht war es nicht die großeLiebe gewesen, von ihrer Seite, Volkmar hatte ein leicht semitisches Aussehen gehabt, die krankhafte Blässe, die schwarzen Augen, aber seine Liebe war echt gewesen, voller Aufopferung. Gudrun nahm es hin, sie hatte Anspruch darauf. Leider hatte ihre Gier verhindert, dass sie nicht danach gefragt hatte, woher das Geld kam, mit dem Volkmar herumprasste. Er war reich, er war viel auf Reisen, er liebte sie und machte ihr ein Kind. Das hatte ihr genügt. Es hatte ohnehin erst spät geklappt, erst zwölf Jahre nach ihrem ersten Treffen.
    Gudrun stemmte sich mühevoll auf ihren linken Arm, knipste die Nachttischlampe an und griff nach dem Wasserglas. Voller Ekel trank sie einige wenige Schlucke, um den galligen Geschmack in ihrer Kehle runterzuspülen. Das Kind. Ein Junge hätte es sein sollen. Am liebsten hätte sie drei gehabt. Starke Nachkommen, die ihr Geschlecht weitergetragen hätten. Gudrun von Rechlin hatte bei der Hochzeit auf ihrem Namen bestanden, was damals zwar unüblich gewesen war, aber Volkmar hatte begeistert zugestimmt, ein Adelstitel schmückte schließlich auch ihn. Ein fairer Handel. Aber dann war statt der drei strammen Jungs dieses schwächliche Mädchen gekommen. Annette. Gudrun hätte lieber Veronika gehabt, aber Volkmar hatte sich diesen einfachen Namen gewünscht. Sie hatte nachgegeben, weil es ihr gleichgültig gewesen war. Sie hatte ein Mädchen als Kollateralschaden empfunden. Es konnte heißen, wie es wollte, sie würde es nicht lieben. Sie wollte auf ihre Jungen warten. Als der Arzt ihr sagte, dass die Gebärmutter bei der Geburt so beschädigt worden war, dass man sie nur noch hatte entfernen können, war es für sie zu spät. Da lag das Mädchen ungeliebt in ihren Armen und hatte diesen schrecklichen Namen. Und Volkmar war hingerissen.
    Gudrun machte sich den Vorwurf, dass sie Annette später nicht einfach ins Leben gestoßen, sondern Rücksicht genommen hatte auf ihre vermeintliche Sensibilität. Natürlich war auch daran Volkmar schuld, nicht sie. Aber sie hätte sich durchsetzen müssen. Annette kam ganz nach Volkmar. Die verweichlichte Art, das In-sich-Gekehrte, die Neigung, sich zurückzuziehen – in allem erkannte Gudrun ihren verstorbenen Mann. Volkmar hatte es ebenfalls so empfunden, und das hatte ihn dazu verleitet, Annette, sein Ebenbild, vor allem zu beschützen, sie ganz ihren Interessen zu überlassen. Gudrun hatte zugesehen. Und ihre Tochter mehr und mehr verachtet. Volkmar war tot, er konnte ihr keinen Einhalt mehr gebieten. Den Schaden, den er angerichtet hatte, musste sie nun wieder ausbügeln. Er hatte alles, ihr gesamtes Hab und Gut, Geld, Immobilien und bewegliches Vermögen, verjuxt, verprasst und verhökert. Nun saß sie hier, in der riesigen Villa mit ihrem ungeliebten Kind, und versuchte zu retten, was zu retten war. Sie hätte Annette auch ihrem Schicksal überlassen können, aber so war sie nicht gestrickt. Sie war eine Kämpferin. Gudrun von Rechlin,
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