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Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland

Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland

Titel: Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland
Autoren: Tanja Weber
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den Wecker auf dem Fensterbrett. Es war kurz nach zwölf, er hatte nur fünf Stunden geschlafen. Er fühlte sich völlig zerschlagen, hatte höllische Kopfschmerzen und eine pelzige Zunge, aber gleichzeitig wusste er, dass er nicht länger würde liegenbleiben können. Er richtete sich auf, schwang die Beine aus dem Bett und blieb eine Zeitlang so sitzen, den Kopf in die Hände gestützt. Er musste sich kurz orientieren und die Vorgänge Revue passieren lassen. War das wirklich alles geschehen gestern Nacht? Als die Polizisten sie vom Tatort entlassen hatten, war Andreas gekommen, um ihn und Thalmeier abzuholen. Ein paar versprengte Gäste vom Fest hatten noch auf der Lanzschen Wiese gesessen. Während Stifter sich sofort in sein Bett begeben wollte, hatte Thalmeier ihn überredet, sich noch in kleiner Runde zusammenzusetzen. Einen Schnaps zu trinken und vielleicht noch eine Kleinigkeit zu essen. Der Bulle wusste aus Erfahrung, dass es nicht unbedingt gut war, mit solchen traumatischen Erfahrungen alleine fertig zu werden. Sie hatten den anderen, darunter Kyra, Andreas und Vroni erzählt, was geschehen war. Natürlich waren sie nicht ins Detail gegangen, Thalmeier hatte peinlich darauf geachtet, dass nichts an die Öffentlichkeit gelangte, was die Polizeiarbeit erschweren konnte. Er erinnertesich nicht mehr daran, wie lange sie beisammengesessen hatten. Aber es war bereits hell gewesen, als er in sein Bett gekrochen war. Thalmeier wurde kurzerhand bei Familie Lanz einquartiert.
    Stifter reckte sich und hörte seine Gelenke knacken. Dann schlich er zum Gasherd, mahlte eine Portion Espresso und füllte sie in seine Aluminiumkanne. Mit seinem Chef hatte er noch in der Nacht telefoniert und frei bekommen wegen der besonderen Umstände, er würde heute also nicht arbeiten müssen, worüber er sehr dankbar war. Während er dem Rauschen der Gasflamme lauschte, sah er aus dem Fenster und versuchte, in sich hineinzuhören. Stand er wieder da, wo er in Germerow gestanden hatte, als er die Leiche von Micha gefunden hatte? War er keinen Schritt weiter? Warum er? Schon wieder! Das war doch unnormal. Kein Mensch fand innerhalb eines Jahres zwei Leichen, die statistische Wahrscheinlichkeit dafür lag vermutlich bei einer Prozentzahl mit mindestens acht Nullen hinter dem Komma. Der Kaffee brodelte nun in der Kanne, und Stifter zog das Gebräu vom Herd. Er goss sich den gesamten Inhalt in einen Becher, schaufelte ausnahmsweise drei Teelöffel Zucker dazu und ging barfuß und in Boxershorts in die Sonne. Ihn grauste es vor der Aussicht, dass er weiterhin jeden Arbeitstag an der Villa der Rechlins vorbeikommen würde. So würde er immerzu daran erinnert werden. Vielleicht sollte er versuchen, mit einem Kollegen die Tour zu tauschen.
    Rubina lief über die Wiese, sie hatte einen großen blauen Müllsack, sammelte Unrat, der vom Fest übriggeblieben war, auf und winkte fröhlich zu ihm herüber. Offenbar hatte ihr niemand gesagt, was in der Nacht geschehen war, und Stifter war dankbar dafür. Er winkte zurück und rief ihr zu, ob siewisse, ob Thalmeier bereits aufgestanden war. Rubina kam gutgelaunt zu ihm geschlendert.
    »Der ist schon weg«, antwortete sie zu Stifters großer Überraschung.
    »Wie weg? Nach Hause gefahren?«, erkundigte er sich.
    »Nö«, gab das Mädchen zurück. »Wir sollen dich schön grüßen, er kommt nachher noch mal. Er erledigt nur was.«
    Stifter nickte und wusste, dass in Thalmeier der Ermittler erwacht war. Zwar hatte er gestern in der Nacht immer wieder betont, dass die Kollegen den Fall bearbeiteten und er damit nichts zu schaffen habe, gleichzeitig hatte er Kyra, Andreas und Vroni alle möglichen Informationen über die beiden Rechlin-Damen und ihr Umfeld gestellt. Mit Sicherheit war er in dem Moment unterwegs zum Tatort. Bei der Erinnerung an das, was sie gestern dort vorgefunden hatten, schauderte Johannes Stifter, und er ließ sich mit seinem Kaffee in den Liegestuhl sinken. Zu gerne hätte er die Erinnerung an das Gesehene verdrängt, andererseits musste er immerzu an Annette von Rechlin denken. »Sie haben ihr das Leben gerettet«, hatte der Arzt zu ihm gesagt. Ein zweifelhaftes Lob. Denn Annette lag im Koma, und keiner wusste, was für ein Leben sie erwartete, wenn sie jemals wieder aufwachen würde. Stifter nahm sich vor, später in der Klinik anzurufen und sich zu erkundigen, wie es ihr ging. Dann schloss er die Augen und spürte die Sonne auf seinem Gesicht. Dunkelrote Muster führten vor seinen
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