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Portugiesische Eröffnung

Portugiesische Eröffnung

Titel: Portugiesische Eröffnung
Autoren: Jenny Siler
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internationale Polizeiorganisation als ernsthafte Gefährder einstufte.
    Darunter war ein Mann abgebildet, es schien sich um ein offizielles Passfoto zu handeln. Der Mann schaute unmittelbar in die Kamera, seine zarten Gesichtszüge wirkten ausdruckslos, das Haar war sehr kurz geschnitten. Selbst nach so vielen Jahren erkannte ich ihn sofort und war erschrocken, sein Gesicht in diesem Zusammenhang zu sehen.
    RAHIM ALI stand über dem Foto. Darunter waren verschiedene Decknamen aufgeführt: Ahmed Ali, Nassar Ali, Hassan Abdallah, Nassar Abdallah, Harun al-Nassar, gefolgt von biographischen Angaben: Geburtsort: Marokko. Angebliche Geburtsdaten: 15. Januar 1959; 2. April 1961; 19. März 1962. Größe: 1,87m. Gewicht: 90 Kilo. Haarfarbe: braun. Augenfarbe: braun. Hautfarbe: dunkel. Unveränderliche Kennzeichen: keine. Sprachen: Arabisch, Französisch, Englisch, Spanisch, Portugiesisch. Staatsangehörigkeit: marokkanisch.
    Die Informationen waren ziemlich schlampig zusammengestellt. Die Liste der Decknamen war unvollständig, ebenso die Angaben zu den Sprachkenntnissen. Ich wusste von früher, dass Rahim ziemlich gut Niederländisch und Deutsch sprach und sich in einigen slawischen Sprachen verständigen konnte. Er war eben sprachbegabt, und ich hielt es für mehr als unwahrscheinlich, dass er seitdem nicht noch die eine oder andere Sprache dazugelernt haben sollte.
    Außerdem gab es einen ganz eklatanten Fehler in seinem Profil, drei Wörter, die mir sofort ins Auge fielen. Eigentlich nur eine Kleinigkeit, die mich nicht hätte überraschen sollen, doch aus irgendeinem Grund störte sie mich mehr als alles andere. Unveränderliche Kennzeichen: keine. Ich meinte, die deutlich hervortretende Narbe auf Rahims Bauch zu spüren, den langen Schnitt unterhalb der Rippen, den ich so gern gestreichelt hatte, wenn er schlief. Der einzige Makel seines Körpers, hatte ich damals gedacht, wie ein gezacktes Töpferzeichen auf glattem Ton.
    »Na, kommen da alte Erinnerungen hoch?«, hörte ich Valsamis fragen.
    »Soll das ein Witz sein?«
    Valsamis neigte den Kopf. »Was soll das nun wieder heißen?«
    »Ich meine das hier, das alles.« Ich deutete auf das Papier »Er ist doch kein Terrorist.«
    Valsamis holte eine Visitenkarte aus seiner Aktentasche und reichte sie mir. In der Mitte unter seinem Namen war ein Prägesiegel zu sehen, darunter ein Adler mit drei gekreuzten Pfeilen in den Krallen, umgeben von dem Schriftzug VERTEIDIGUNGSMINISTERIUM, VEREINIGTE STAATEN VON AMERIKA.
    »Wir möchten, dass Sie Ihren alten Freund für uns suchen.«
    Deshalb also war er gekommen. Er suchte gar nicht mich, sondern jemanden, den ich ihm liefern konnte.
    »So etwas tue ich nicht«, sagte ich. »Außerdem habe ich Rahim seit Jahren nicht gesehen. Ich kann Ihnen nicht helfen.«
    »Das sehen wir anders.« Aus seinem Munde hörte es sich an, als sei dies eine absolut unumstößliche Tatsache, als hätten ich und meine Ansichten wenig Einfluss auf die Situation.
    »Dann irren Sie sich.« Ich warf noch einen Blick auf das Foto. Es wurde Rahim nicht gerecht, fing seine atemberaubenden Züge nicht annähernd ein.
    Valsamis öffnete wieder seine Aktentasche und nahm einen dünnen Hefter heraus. »Die amerikanische Botschaft in Nairobi.« Er hielt mir ein Foto hin.
    Der Anblick war vertraut, war vier Jahre zuvor wieder und wieder in den Nachrichten und in den Zeitungen gewesen. Ein ausgebranntes Autowrack, dahinter ein riesiger Trümmerberg. Über zweihundert Menschen, meist Kenianer, waren bei dem Bombenanschlag gestorben und weitere fünftausend verletzt worden.
    »Ihr Freund und seine Kumpane von der IAR.«
    »Das soll wohl ein Witz sein«, wiederholte ich kopfschüttelnd. »Rahim ist kein Radikaler. Er ist einer der unpolitischsten Menschen, die ich kenne.« Waren wir das nicht alle gewesen? Unter uns gab es keine Kreuzritter, Geld war unser einziger Beweggrund, und selbst dabei gab es Grenzen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Rahim jemals für die Islamic Armed Revolution arbeiten würde, was immer sie ihm auch anbieten mochten.
    »Die Zeiten ändern sich«, sagte Valsamis und reichte mir ein zweites Foto, das ich noch nicht aus den Medien kannte. Es zeigte eine junge Kenianerin mit ihrem Kind. Die Frau lag tot am Boden, beide Beine waren sauber oberhalb der Knie abgetrennt. Das Kind, ein kleines Mädchen von zwei oder drei Jahren stand mit leerem Blick und blutbespritztem Gesicht neben der Leiche seiner Mutter.
    »Es gibt noch mehr davon.«
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