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Portugiesische Eröffnung

Portugiesische Eröffnung

Titel: Portugiesische Eröffnung
Autoren: Jenny Siler
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stechenden Schmerz, als ihn eine offene Handfläche ins Gesicht traf. Dann nahm man ihm die Augenbinde ab, und Kanj schaute blinzelnd ins Gesicht des Mannes, der nun über alles bestimmen würde. Über Schmerz und Angst. Hoffnung. Sogar Erlösung.
    Mein neuer Gott, dachte Kanj, obwohl der Mann gar nicht so aussah. Er war klein und stämmig, mit Schweißringen unter den Achseln, und sein kahler Kopf schimmerte im Licht der nackten Glühbirne.
    Kanj holte tief Luft, hob den Kopf und wappnete sich für das, was kommen würde. »Ich möchte mit den Amerikanern sprechen«, sagte er. Schon in Pakistan hatte er diese Worte ständig wiederholt. Mehr würden sie nicht von ihm hören.

Zwei
    Schon als ich John Valsamis zum ersten Mal sah, wusste ich Bescheid. Es war ein warmer Nachmittag, einer jener trügerischen Vorfrühlingstage. Gerade erst März und doch schon Wetter für kurze Ärmel, die Flüsse angeschwollen vom Tauwetter, die ersten grünen Schösslinge der Krokusse drängten ans Licht. Ich war mit Lucifer spazieren gewesen, und als wir nach Hause kamen, parkte Valsamis auf der Straße genau vor der Einfahrt, ein kleiner ordentlicher Mann in einem gemieteten weißen Twingo. Dass er zu mir wollte, war so klar, als hätte ich ihn persönlich eingeladen.
    Er hätte ebenso gut ein Tourist sein können, ein einsamer Amerikaner, der sich in diesen unbedeutenden Winkel der Welt verirrt hatte. Falsch abgebogen auf dem Weg nach Tautavel oder zu einer Katharer-Festung und stehen geblieben, um einen Blick auf die Landkarte zu werfen. Doch so war es nicht. Selbst Lucifer spürte, dass etwas nicht stimmte. Er war ungeduldig vorgelaufen, und als ich um die letzte Ecke bog, stand er wie angewurzelt mitten auf der Straße.
    Mein alter Schäferhundmischling war ein Ex-Knasti wie ich und wusste Werte wie Treue und ein gutes Zuhause zu schätzen. Ich hatte ihn aus dem Tierheim und damit vor dem drohenden Tod gerettet, und er dankte mir diesen Gefallen tagtäglich mit seiner ganz eigenen leidenschaftlichen Liebe. Nun aber hatte er die Ohren flach angelegt und den Schwanz zwischen den kräftigen Hinterbeinen eingerollt. Das dunkle Fell an seinem Hals sträubte sich wie die Borsten eines Besens. Er schaute kurz zu mir und stieß ein leises Knurren aus. Ich musste ihn überholen und so tun, als wäre alles in Ordnung. Doch er verließ seinen Posten erst, als ich schon auf halbem Weg zum Haus war.
    Valsamis blieb im Auto sitzen, während ich mit dem Hund hineinging. Ich konnte ihn vom Küchenfenster aus sehen, während ich Lucifers Futter in den Napf schüttete. Der Wagen wurde von der einzelnen Glasscheibe perfekt eingerahmt, als hätte Valsamis mit voller Absicht dort geparkt, um mir eine gute Sicht zu verschaffen. Sein Gesicht wirkte reglos hinter der Windschutzscheibe, halb verborgen durch die Spiegelungen der kahlen Bäume über ihm. Ich kannte ihn nicht, hatte keine Ahnung, was ihn hergeführt haben könnte. Wie ein Kunde von früher sah er nicht aus, und ein Bulle war er auch nicht, so viel stand fest. Er kam mir eher wie ein Gauner vor.
    Ich stellte Lucifer den Napf hin, ging in die Vorratskammer, quetschte mich an den Regalen mit selbstgemachter Aprikosenmarmelade und eingelegten Bohnen aus dem letzten Herbst vorbei und holte die verbeulte alte Schrotflinte herunter, die ich bei meinem Einzug auf dem Dachboden gefunden hatte. Als Schusswaffe taugte sie nicht viel, aber sie gab mir Sicherheit und war außerdem laut genug, um die Füchse, die meinen Hühnerstall verwüstet hatten, künftig fernzuhalten.
    In der Hoffnung, das Gleiche auch bei meinem Besucher zu erreichen, nahm ich sie demonstrativ in die linke Hand und trat aus der Küchentür. Ich wollte mir den Mann genau anschauen. Er sollte merken, dass ich wusste, dass er hier war, doch als ich nach draußen kam, war der Twingo verschwunden.
    Ich stand in der geschotterten Einfahrt und wünschte mir, ich hätte nicht mit dem Rauchen aufgehört. Mit einer Zigarette hätte ich meine Hände beruhigen können. Ein leichter Wind kam auf und ließ die dürren Zweige der Bäume leise rascheln, als flüsterten sie einander Klatschgeschichten zu. Ich rieb meine nackten Arme, um die Gänsehaut zu vertreiben, warf noch einen Blick auf die verlassene Straße und drehte mich um. Weg, sagte ich mir, vielleicht hatte ich mich auch geirrt. Mich von der alten Paranoia anstecken lassen, den Ängsten aus dem Gefängnis. Nicht in jedem geparkten Auto saß ein dunkler Geist aus der Vergangenheit. Doch
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