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Portugiesische Eröffnung

Portugiesische Eröffnung

Titel: Portugiesische Eröffnung
Autoren: Jenny Siler
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Mann irgendein Gauner war, musste er wohl ein Freund meines Vaters sein. Vielleicht war Ed das Geld ausgegangen, und er hatte einen seiner zwielichtigen Kumpel losgeschickt, um mich aufzuspüren.
    Doch Valsamis schüttelte den Kopf. »Wir sollten hineingehen«, schlug er vor.
     
    »Sie haben es aber nett hier«, bemerkte Valsamis, als ich die Tür schloss und das Licht einschaltete. Lucifer quetschte sich an uns vorbei und warf mir einen beschützenden Blick zu, bevor er in die Küche trottete.
    »Ich habe kein Geld«, sagte ich, musste aber erst auf Englisch umschalten. In meinem Geschäft sprachen wir englisch aus Notwendigkeit. Ich hatte mehrere Jahre in den Staaten verbracht, war aber mit dem Französischen aufgewachsen.
    Valsamis sagte nichts. Wer mit der englischen Sprache aufgewachsen ist, neigt zu einer gewissen Arroganz und Selbstsicherheit, die im Wissen gründet, dass die eigene Sprache überall verstanden wird und man dadurch einen deutlichen Vorteil genießt. Diesen Hochmut spürte ich auch bei Valsamis. Er stand mit steif herabhängenden Armen da und schaute sich in dem alten Bauernhaus um. Es war alles andere als prächtig, aber schöner als viele andere Häuser und sehr viel schöner als alle, in denen ich bisher gewohnt hatte. Ich war stolz auf dieses Haus, in dem ich jeden jahrhundertealten Stein und jedes Stück Holz mit eigenen Händen restauriert hatte.
    Ich machte einen Schritt Richtung Küche, damit Valsamis sich die Schrotflinte in Ruhe ansehen konnte. Ich hatte nicht vor, mich auf ein Ratespiel einzulassen. Andere zappeln zu lassen gehörte zu meinen besonderen Talenten, und früher oder später würde er mir schon verraten, was er von mir wollte.
    Er verweilte noch einen Augenblick im Flur, kam dann hinter mir in die Küche und lehnte sich an den Türrahmen, während ich meine Einkäufe auf die Arbeitsplatte stellte. Hier drinnen sah er noch kleiner aus als in der Einfahrt, zwergenhaft in einem Türrahmen, der für einen sehr viel größeren Menschen gebaut worden war. Im grellen Licht der Küche erkannte ich seine derben Züge, wie ein Juwelier unter der Lupe die Makel eines Edelsteins wahrnimmt.
    Ich schätzte ihn auf etwa sechzig, er konnte aber genauso gut zehn Jahre jünger oder älter sein. Vermutlich hatte er ein Leben geführt, das einen gleichzeitig härter und weicher machte. Das kannte ich von den Frauen im Maison des Baumettes, den Lebenslänglichen, die alterslos wirkten, die Körper erschlafft von der stärkehaltigen Ernährung, der Verstand gespannt wie eine Feder vor lauter Angst. Und Valsamis? Nicht das Gefängnis hatte ihn geprägt, dennoch wirkte er wie ein Gefangener.
    »Ja, es ist wirklich schön. Obwohl es mir hier oben ziemlich einsam vorkommt und sehr still. Vermissen Sie nicht die alten Zeiten? Lissabon? Marseille? Mitternachtsdinner auf der Rambla?«
    »Was wollen Sie von mir?«
    Valsamis sah mich schweigend an. »Die Sache in Marseille, das war eine Schande.«
    Seine Stimme klang drohend. Er erinnerte mich an die Gefängniswärter, teiggesichtige Schläger, bewaffnet mit Stock und Schlüsselbund. »Die haben Angst vor jeder Muschi«, pflegte meine Zellengenossin Céline über die grausamsten von ihnen zu sagen. Bei Valsamis hingegen spürte ich echte Macht.
    »Sie wissen nicht, dass Sie hier sind, oder? Die Franzosen, meine ich.«
    Ich schaute in sein Raubvogelgesicht. »Es tut niemandem weh, dass ich hier wohne. Mein Geld bekomme ich aus England, von Solomon.«
    »Nein …« Es war Frage und Antwort zugleich. »Aber ich meine mich zu erinnern, dass Sie unter bestimmten Bedingungen freigekommen sind. Dass Sie das Land verlassen, beispielsweise.«
    Ich spürte, wie mein Gesicht erstarrte, mein Körper sich verkrampfte.
    Valsamis schaute sich ein letztes Mal in der Küche um und blickte durch die zweiflügelige Tür in den dunklen Garten. »Es wäre eine Schande, das alles zu verlieren.«
    »Ich habe Ihnen doch schon gesagt, ich habe kein Geld.«
    Valsamis öffnete kopfschüttelnd seine Aktentasche und holte ein gefaltetes Blatt Papier heraus. »Na los«, drängte er und hielt es mir hin. Die Knöchel seiner rechten Hand waren mit alten Narben gesprenkelt.
    Ich faltete das Blatt auseinander. Es war ein Computerausdruck mit Schwarz-Weiß-Foto und Text. Oben auf der Seite stand in fetten Großbuchstaben RED NOTICE. Ein Interpol-Begriff, der nur einer bestimmten Gruppe gesuchter Straftäter – Männern und einigen wenigen Frauen – vorbehalten war, die die
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