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Portugiesische Eröffnung

Portugiesische Eröffnung

Titel: Portugiesische Eröffnung
Autoren: Jenny Siler
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Valsamis blätterte die übrigen Fotos durch, und ich erhaschte flüchtige Blicke auf Körper, aus denen Eingeweide quollen, Schuhe, zerfetzte Kleidungsstücke. Eine Damenhandtasche lag in einer Blutlache. Aus einem rauchenden Trümmerhaufen lugte das gerahmte Foto einer Frau mit ihren Kindern hervor. Lauter Alltagsgegenstände, die einen erschütternden Kontrast zum Grauen bildeten. »Ich war dort«, sagte Valsamis. »Es war mitten in der Stadt. Die meisten Menschen, die dabei starben, haben nicht einmal in der Botschaft gearbeitet.«
    »Es ist furchtbar«, stimmte ich zu und meinte es ehrlich, meinte mehr als nur das. »Aber Sie irren sich in Rahim. Ich kenne ihn. So etwas würde er nicht tun.« Ich drehte die Bilder um und legte sie auf die Arbeitsplatte.
    »Rahim wurde vor vier Jahren von der IAR angeworben. Er erstellte sämtliche Dokumente, die sie für den Anschlag benötigten. Anscheinend ist sein älterer Bruder schon länger in der Organisation.«
    »Driss?«
    Valsamis nickte. »Wie ich höre, kennen Sie ihn aus Lissabon.«
    Ich zuckte die Achseln. Kennen war nicht das richtige Wort. Rahims Bruder hatte einen Monat bei uns gewohnt, als er auf dem Weg nach Frankreich war, aber wir hatten kaum miteinander gesprochen.
    »Angeblich hat er einem der Gefängnisse von Hassan II einen Besuch abgestattet«, fuhr Valsamis fort und holte drei weitere Fotos aus der Mappe. »Irgendein Wüstenloch für Andersdenkende. Gewiss keine angenehme Erfahrung.«
    Valsamis reichte mir das erste Foto. Darauf waren Rahim und Driss auf irgendeiner Straße zu sehen. »Das wurde letzten Monat in Lissabon aufgenommen.«
    »Also hat Driss seinen Bruder besucht, na und? Selbst wenn er in der IAR sein sollte, ist Rahim noch lange kein Terrorist.«
    Valsamis nickte geduldig und legte mir das zweite Foto in die Hand. Ein Dutzend Männer saß an einem langen Tisch, alle in Militärkleidung, alle mit dunklem Schnurrbart. Und am Kopf des Tisches thronte wie der Patriarch beim Familienessen Saddam Hussein persönlich.
    »Ibrahim al-Rashidi«, sagte Valsamis und deutete auf den Mann, der rechts von Hussein saß. »Saddams Stellvertreter beim irakischen Geheimdienst.«
    Ich zuckte wieder nur die Achseln. »Ich begreife nicht, was das mit Rahim zu tun haben soll.«
    Dann reichte mir Valsamis das dritte Foto. »Das haben wir letzte Woche aufgenommen. Wieder in Lissabon.«
    Ich erkannte die Stadt. Das Foto zeigte das Café a Brasileira ganz in der Nähe des Largo do Chiado. Die typischen gelben Sonnenschirme wirkten auf dem Schwarz-Weiß-Foto zwar grau, aber ich erkannte sie sofort. In der Bildmitte saßen zwei Männer beim Kaffee.
    Valsamis deutete auf den rechten Mann. »Al-Rashidi.« Er trag Zivil, Krawatte und dunklen Anzug. »Wer sein Begleiter ist, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen.«
    Ich betrachtete das Gesicht, die Augen und Lippen, die mit der dunklen Druckfarbe verschmolzen. Es war zwölf Jahre her, doch ich hätte ihn überall erkannt.
    »Uns liegen ernsthafte und glaubwürdige Informationen vor, nach denen die IAR mit Hilfe der Iraker etwas ganz Großes plant. Noch größer als Nairobi, und Rahim ist daran beteiligt.«
    Ich schüttelte den Kopf, schaute von einem Bild zum anderen, von al-Rashidi zu Rahim, wollte meinen eigenen Augen nicht trauen. »Da müssen Sie mir schon etwas Besseres bieten.«
    »Sie wissen genau, dass ich das nicht kann.« Valsamis hielt inne, als spielte er mit dem Gedanken, gegen die Regeln zu verstoßen.
    Nuklear, dachte ich, oder biologisch, wie die Angriffe auf die kurdischen Dörfer. Oder aber ein zweites World Trade Center.
    »Wir brauchen Ihre Hilfe, Nicole.«
    Ich lehnte mich gegen die Arbeitsplatte und tastete mit den Fingern nach einer imaginären Zigarette. »Verlassen Sie mein Haus.«
    Valsamis machte einen Schritt zur Tür, zögerte und wandte sich um. Dann drehte er den Fotostapel so, dass die Mutter mit dem kleinen Mädchen obenauf lag. Auf ewig festgehalten im Augenblick des schrecklichen Verlustes. »Eine Autobombe«, sagte er und schob mir das Foto mit dem Zeigefinger hin.
    Die Erklärung traf mich wie ein Schlag, und ich schaute ihn flüchtig an, bevor ich mich wieder in der Gewalt hatte. Die Wortwahl konnte kein Zufall sein. Forschend betrachtete ich sein Gesicht. Valsamis hatte den Kopf ein wenig geneigt und die Augen auf das Mädchen und seine Mutter gerichtet. Sein Gesicht gab nichts preis. Nein, dachte ich und schob die dunkle Erinnerung weg, das konnte er unmöglich wissen.
    »Schlafen
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