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PolyPlay

PolyPlay

Titel: PolyPlay
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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Pilot, der ihm geholfen hatte. Er hatte eine erstaunlich klare und dunkle Stimme. Sehr männlich.
    »Kann losgehen«, antwortete Wes. Er wollte nicht wie ein Angeber wirken, aber auch nicht wie ein Weichling. Masters hätte wahrscheinlich einen dreckigen Witz gerissen. Wes war aber kein Soldat, sondern Techniker.
    Der Pilot ließ die Turbine an. Was als ein intensives, noch von den langsamen Schlägen der Rotorblätter moduliertes Brummen begann, steigerte sich schnell zu einem hellen, heißen Gesang, der mitten aus Wes' Körper zu kommen schien. Als Techniker interessierte er sich für die Details. Hätte er vorne gesessen oder hätte er über eine Sprechanlage mit dem Piloten am Steuerknüppel Kontakt gehabt, hätte er nach den grundsätzlichen Werten gefragt: Turbinentyp, Leistung, U/min. So konzentrierte er sich nur darauf, die Kraft der Maschine zu spüren. Das war vielleicht besser so. Es mochte unklug sein, den Mann am Steuerknüppel gerade beim Start zu stören.
    Als der Rotor die erforderliche Drehzahl erreicht hatte, sprang der Hubschrauber von der Plattform in die Luft wie eine Libelle. Der Andruck des Starts presste Wes in seinen Sitz, und sein Magen protestierte. Der Pilot drehte den Hubschrauber fast einmal ganz um seine Achse und flog dann eine lang gezogene Abschiedsrunde um Sealand herum. Drei Männer standen auf der Plattform. Wes konnte sie deutlich sehen. Er fühlte sich in der kreisenden schwarzen Libelle wie als Kind, wenn er auf einem Kirmeskarussell an seinen Eltern vorbeigeflogen war, die auf den Holzbrettern der Karusselleinfassung standen und ihm winkten. Seinen Eltern hatte er sich damals aber nur fern gefühlt, für Sealand empfand er im Moment seines Abschieds herzhafte Verachtung, die ihn mit einer schwarzen Freude erfüllte. Fuck you, Sealand, dachte er. Fuck you, Veridat Inc. And fuck you, too, Mr. Masters. Fuck you, fuck you, fuck you. – Ein winziger Anflug von Wehmut. Dann fiel die Seefestung aus dem Zweiten Weltkrieg hinter ihnen zurück. Das Wetter war klar, die Sicht war gut. In spätestens einer Stunde würde er in London sein. Er hatte im Flughafenhotel in Heathrow ein Zimmer für die Nacht geordert. Seine Maschine nach Los Angeles ging am nächsten Morgen um 9 Uhr genau. Wes lehnte sich zurück.
     
    Nach einer Viertelstunde Flug merkte er, dass etwas nicht stimmte. Der Abend war hereingebrochen. London lag von Sealand aus gesehen in Westsüdwestlicher Richtung, und wären sie wirklich zur britischen Hauptstadt unterwegs gewesen, hätten sie der Sonne geradewegs entgegenfliegen müssen. Stattdessen lag sie halblinks hinter ihnen. Wes fragte sich, wo das Festland blieb. Die Festung war nur sechs Meilen von der britischen Küste entfernt, eine Entfernung, die ein Hubschrauber wie dieser sicher in weniger als fünfzehn Minuten überwand. Sie befanden sich über der offenen See, weit und breit war kein Land in Sicht. Außerdem schienen sie zu steigen. Abgesehen von dem Turbinengeräusch war es still. Kein Funkverkehr zu hören, und auch die Piloten sprachen nicht miteinander.
    Eine Zeitlang versuchte er sich damit zu beruhigen, dass diese Jungs Profis waren und genau wussten, was sie taten. Dann wurde ihm mit einem Schlag klar, dass möglicherweise genau das das Problem war. Er überschlug noch einmal grob ihren Kurs. Dänemark. Wenn Wes sich nicht sehr täuschte, flogen sie ziemlich genau auf Dänemark zu. Wes begann zu frieren. Von außen und von innen. Scheiße, dachte er. Immer der paranoideste Quatsch muss wahr sein. Er wusste nicht, was er tun sollte. Wenn das stimmte, was er vermutete, hatte er keine Chance. Seine einzige Waffe war der Laptop auf seinem Schoß. Den konnte er vielleicht einem von den beiden über den Schädel ziehen. Oh sicher, dachte er. Ich schalte den behelmten Copiloten aus, indem ich ihm ein paar gezielte Schläge mit meinem Laptop verpasse, und dann bedrohe ich den Piloten mit dem zersplitterten Gehäuse, damit er mich nicht nach Dänemark, sondern nach London fliegt. Brillant! Was für ein Scheißplan. Alles war schief gelaufen, seit er diesen beschissenen Temperaturdefekt in Serverrack 9 entdeckt hatte. Alles. Aber er hatte ja unbedingt nachforschen müssen. Er hatte ja unbedingt seine Nase in Sachen stecken müssen, die ihn absolut nichts angingen.
    Seine Finger tasteten noch nervös am Reißverschluss seiner Laptoptasche, als sich der Copilot plötzlich zu ihm umdrehte. Sein Helmvisier war offen. Er lächelte. In der rechten Hand hielt er eine
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