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PolyPlay

PolyPlay

Titel: PolyPlay
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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aufspüren, wenn sie nur genügend Widersprüchen ausgesetzt wird? Bemerkt sie die realen Mauern des Gefängnisses? Deswegen warst du Teil eines Polyplay-Spiels, in dem die DDR die BRD geschluckt hat und nicht umgekehrt. Aber in Wirklichkeit, mein kleiner großer Held, führte die BRD, um fünf neue Bundesländer verstärkt, 1999 Krieg gegen Jugoslawien. Wegen der Menschenrechte.«
    »Das ist absurd. Das ist alles komplett absurd.«
    »Ach? Wenn ich mich recht erinnere, sind auch in deiner Version der Wirklichkeit 1968 NVA-Truppen in die Tschechoslowakei einmarschiert, weil dem Warschauer Pakt der Prager Frühling nicht passte. Übrigens existiert die Tschechoslowakei auch nicht mehr.«
    »Dafür hat sich der Staatsratsvorsitzende Modrow entschuldigt!«, rief Kramer. »Er hat den Einmarsch von '68 als einen historischen Fehler bezeichnet!«
    »Hat er nicht, weil es einen Staatsratsvorsitzenden Modrow nie gegeben hat. Der letzte Mann mit diesem Beruf hieß Erich Honecker, in deiner Version der Vergangenheit 1987 an einem Jagdunfall verstorben. Aber das ist die Polyplay-Version. In Wirklichkeit musste er 1989 abtreten, nachdem es eine so genannte ›sanfte Revolution‹ gegen sein Regime gegeben hatte. Er starb 1994 in Chile. Es tut mir Leid, Rüdiger: Was die jüngere Geschichte des Nullniveaus angeht, bist du kein Experte. Und übrigens: Entschuldigungen sind billig. Vielleicht wird sich sogar ein Nachfolger von diesem Herrn irgendwann für den Krieg gegen Jugoslawien entschuldigen. Man spricht von 3000 Toten. Was uns aber im Moment überhaupt nicht interessiert.«
    Kramer atmete schwer. In seinem Kopf drehte sich alles. Er suchte nach einer Möglichkeit, in den Gesprächsverlauf einzugreifen, die Kontrolle zurückzugewinnen. Er wollte in Erfahrung bringen, ob ihm nur Lügen erzählt wurden oder ob manches auch stimmte.
    »Katharina Abusch!«, rief er. »Was war sie? War sie auch eine Kunstintelligenz?«
    Die Götter sahen einander an. Zeus und Athene schmunzelten.
    »Katharina Abusch?«, sagte Zeus. »Sie war eine von uns. Eine Spielerin. Eine Göttin. Sie hat eine ungute emotionale Beziehung zu Michael entwickelt, der Spielfigur, die sie hauptsächlich betreute. Musste nach ihrer Begegnung mit dir in der Oderberger Straße leider … verschwinden. Polyplay ist gefährlich. Manchmal sogar für Götter.« Er lachte. »Aber auch das interessiert jetzt nicht weiter.«
    Kramer bemerkte, dass der Erzengel Gabriel näher an ihn herangetreten war. Seine Brust, sein Bauch, seine Beine waren blutbesudelt. Auf seinem weiß schimmernden Federkleid wirkte das Blut rosa. Der Engel roch nach Schnee. Er lächelte freundlich. Kramer wollte weglaufen, aber seine Beine waren zu schwer. Er wimmerte.
    »Ahnst du, was uns jetzt, hier und heute, wirklich interessiert? Wahrscheinlich nicht. Es ist etwas sehr Seltenes geschehen. Die Vorgänge um dein Aktivitätsniveau wurden genau untersucht. Aufgrund der außergewöhnlichen Umstände, die zu unserer Entdeckung geführt haben, hat man uns ein Nachspiel gewährt. Ein Nachspiel! Das ist erst zweimal in der Geschichte von Polyplay geschehen, und wir sind stolz darauf, dass unser Aktivitätsniveau auf diese Weise ausgezeichnet wird. Es ist spektakulär, Rüdiger. Der schlaue Wes hat uns mit seiner Neugier zu einem Nachspiel verholfen. Wir können nicht mehr gewinnen. Aber wir können aufholen und stärker in die nächste Runde gehen, als uns das ohne Nachspiel möglich wäre. Und du darfst mitspielen. Neues Spiel, neues Glück, so heißt es doch, nicht wahr, mein tapferer Zinnsoldat? Natürlich kann es für dich jetzt nicht mehr darum gehen, zu erkennen, was ›Polyplay‹ eigentlich ist. Schließlich weißt du das schon. Jetzt geht es um ganz etwas anderes. Es geht um die Frage: Was macht einer wie du, ein Stück intelligente Software, wenn er um seine Identität weiß und mit diesem Wissen in die Polyplay-Welt zurückkehren muss? Was macht der Moralist Rüdiger Kramer in einer Welt, in der er über einen gewaltigen Informationsvorsprung verfügt, aber über keinerlei Macht? Nimmt er seine Lage hin? Rebelliert er dagegen? Wird er jemanden finden, der ihm glaubt? Wer weiß, vielleicht gibt es in dieser Welt doch noch andere wie ihn? Vielleicht ist er ja doch nicht völlig allein? Das sind Fragen, die neu und interessant sind. Sogar für uns Götter.« Zeus grinste. »Viel Glück, Rüdiger!«
    Der Erzengel Gabriel sagte: »Der Herr ist dein Hirte.«
    Dann schlug er Kramer mit einem einzigen
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