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PolyPlay

PolyPlay

Titel: PolyPlay
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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Aber er kam und kam nicht dahinter. Wie wir ihm auch halfen, er konnte nicht in Erfahrung bringen, was du jetzt weißt. Durch seine Trägheit fielen wir zurück. Und deswegen musste er sterben. Wir spielten unser zweites Ass aus.«
    Kramer wollte nicht hinsehen, aber er musste. Er wollte sich die Ohren zuhalten, konnte aber seine Arme nicht kontrollieren. Dort, wo eben noch das Gesicht Michael Abuschs zu sehen gewesen war, sah er sich selbst in den Jugendclub Taube eindringen, mit seinem Schließwerkzeug. Er sah sich leise durch die abgedunkelten Räume schleichen bis zu dem Hinterzimmer, wo die Videospiele standen.
    Ein Junge in Jeans und Pullover saß da vor einer der Konsolen. Er starrte gebannt auf den Bildschirm und ahnte nichts. Kramer sah sich selbst einen kurzen Knüppel aus seiner Jackentasche ziehen. Er trat mit drei Schritten hinter sein Opfer und schlug es nieder. Als Michael auf dem Boden lag, kniete er sich neben ihn und schlug mit mechanischer Präzision und größter Wucht immer wieder auf den Kopf des Jungen ein, bis er nur noch Brei war. So gut es ging, beseitigte er im Licht einer Taschenlampe die schlimmsten Spuren und verließ den Tatort.
    Kramer weinte. Er spürte genau, wie Tränen seine Wangen hinunterliefen. Aber wieso?, dachte er. Ich bin eine Maschine.
    »Wir nahmen dir die Erinnerung an den Mord, den du selbst begangen hattest, und ließen dich ermitteln. Aber du warst genauso träge wie dein Opfer. Wir konnten dir Hinweise auf den Weg streuen wie wir wollten, du kamst einfach nicht weiter. Merz, auch einer von euch, kam schon weiter, aber zufällig und danach brachte er sich um. Das ist gegen die Regeln. Du dagegen hast so sehr nach den Regeln gespielt, dass wir verloren haben.«
    Szenenwechsel an der Steinwand. Kein Würfelbild, kein Michael Abusch, kein Tatort. Stattdessen eine bewegte See. Eine Art Bohrinsel. Kramer strengte sich an, genau hinzusehen. Nur die Bilder von dem Mord an Michael Abusch vergessen, die ihm eben gezeigt worden waren. Nur weiter. Schlimmer konnte es doch kaum kommen!
    »Und wir hatten Pech. Ungeheures Pech sogar. Was du hier siehst, mein künstlicher Rüdiger, ist deine Heimat. Ja. Schau sie dir nur an! Auf dieser Plattform mitten in der Nordsee befinden sich die Computer, in denen du sozusagen lebst. Auch dieser Tempel ist dort. Auch die DDR, wie du sie kennst. Und leider, leider haben wir beim Spiel so viel Rechenkapazität verbraucht, dass es aufgefallen ist. Darf ich dir Wes vorstellen?«
    Die Plattform in der aufgewühlten See wurde ersetzt durch das Bild eines intelligent wirkenden jungen Mannes mit Brille und Pferdeschwanz, der vor einem Bildschirm saß. Die Kamera schwenkte um ihn herum, und Kramer erkannte, dass der Mann dasselbe Würfelbild vor sich hatte, das eben noch an der Wand des Naiskos zu sehen gewesen war.                                  
    Wenn das stimmt, dachte Kramer, wenn das alles stimmt, dann sieht dieser Mann in diesem Moment mein Gedächtnis. Was mich ausmacht. Wer ich bin. Er konnte die Augen immer noch nicht schließen.
    »Keine Angst, mein Lieber«, sagte Zeus. »Was du hier siehst, ist eine Aufzeichnung, keine Live-Übertragung. Aber trotzdem hat der gute Wes einen Fehler gemacht, indem er auf den Computern herumgeschnüffelt hat, die er eigentlich nur warten sollte. Es hat zwar nicht die geringste Ahnung, worauf er gestoßen ist, aber es gehört zu den Regeln des Spiels, dass es nicht entdeckt werden darf. Wo kämen wir da hin?« Zeus lächelte ihn an. »Wir müssen schließlich unsere Investitionen schützen. Was würde die Welt tun, wenn sie von uns und unserer kleinen Passion erführe? Sie würde über uns herfallen. Wir bleiben lieber ungestört. Und deswegen hat uns die Tatsache, dass der schlaue Wes uns beinahe auf die Schliche gekommen wäre, zurückgeworfen. Zusätzlich zu Michaels und deinem Versagen. Ein unglücklicher Umstand. Polyplay ist wie das Leben selbst. Es geschehen oft unvorhergesehene Dinge. Man muss nur alert und flexibel sein, nicht wahr, mein tapferer kleiner Rüdiger?«
    Kramer wollte sich wehren. Er musste.
    »Wenn das hier … nicht die Realität ist«, begann er stockend, »wenn das hier nur ein Spiel ist … wie sieht dann die Realität aus? Wes ist echt, sagt ihr. Was ist sonst noch echt?«
    »Eine ausgezeichnete Frage!« Zeus war sichtlich angetan. »Fast könnte man meinen, dass du in gewisser Hinsicht dein Geld wert bist!«
    Er hob die Hand mit den Blitzen.
    Ein
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