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PolyPlay

PolyPlay

Titel: PolyPlay
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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Kramer. Dann kam ihm ein tröstlicher Gedanke: Wenn ich hier in diesem Traum einschlafe, wache ich vielleicht in meinem wirklichen Leben wieder auf. Vielleicht in der Pension Aurora. Es wäre das Paradies.
    Dann schlief er ein.
     
    Als er aufwachte, war der Schatten der Mauer nicht weitergewandert. Auch die Möwe war immer noch da. Ein eisiger Schrecken befiel ihn, als er sie wie festgenagelt da oben am Himmelsblau hängen sah.
    Fast noch schrecklicher war die Tatsache, dass sein linkes Bein auf unerklärliche Art und Weise wieder an ihm festgewachsen war. Er tastete es ab, er befühlte es: völlig unversehrt. Aber es war abgetrennt gewesen! Die Würmer hatten es gefressen! Es konnte nicht einfach wieder anwachsen, während er schlief! Und wieso war er in einem Traum eingeschlafen und in demselben Traum wieder aufgewacht?
    »Herr Marx?« rief er, der Panik nahe. »Herr Marx?« Aber der Philosoph war nirgends zu sehen. Kramer stand auf. Die leichte Bettdecke glitt zu Boden. Er betrat den Naiskos.
    Man erwartete ihn schon. Kramer erschrak. Außer Marx, Zeus, Athene und dem Erzengel Gabriel waren noch zwei weitere Gestalten anwesend, und er erkannte sie sofort: Markus Wolf und der Gesichtslose von seinem Rendezvous mit der Majorin Schindler. In ganz gewöhnlichen Straßenanzügen standen sie da, und bildeten mit den anderen einen lockeren Halbkreis.
    Stärker als alle anderen Seltsamkeiten vorher bewies ihm das Auftauchen der beiden, dass seine Realität ernsthaft defekt war: Das hier war nicht sein Leben, es war kein Traum, aber was war es dann? Ein Experiment, durchfuhr es ihn. Das ist ein Experiment. Ich stehe unter dem Einfluss einer Droge, und man erforscht meine Reaktionen. Er erinnerte sich, von solchen Experimenten bei amerikanischen Geheimdiensten gehört zu haben. Ohne ihr Wissen war Probanden LSD oder etwas Ähnliches verabreicht worden, und sie wurden danach beobachtet, um herauszufinden, wie sie mit der Herausforderung fertig wurden. Das ist es, dachte er. So etwas muss es sein. Das ist Körperverletzung, dachte er. Ich will das nicht.
    »Wo bin ich?«, fragte er die Gruppe.
    »Ah«, sagte Zeus. »Das ist einmal eine interessante Frage. Und ich kann sie ganz einfach beantworten. Du bist auf dem Administratorenniveau.«
    Die Gruppe lachte. Sogar Marx musste schmunzeln. Er gehörte jetzt eindeutig zu ihnen.
    »Wir sind die Administratoren. Die Götter. Und hier befinden wir uns in einem Tempel. Dort, wo die Götter wohnen.«
    Kramer dachte angestrengt nach. Aber er konnte keinen Sinn in dem finden, was ihm da erzählt wurde.
    »Das wäre also geklärt. Aber, Rüdiger, jetzt will ich dich auch etwas fragen.«
    Der belustigt-sarkastische Tonfall des Göttervaters ärgerte Kramer. Sie geben mir nicht nur Drogen, sie machen sich auch noch über mich lustig. Er nahm all seinen Mut zusammen.
    »Ich weiß, was das hier ist. Sie haben mich unter Drogen gesetzt. Ich lasse mich nicht täuschen. Das alles hier ist eine Drogenphantasie, und ich soll geprüft werden. So sehe ich es.«
    Der Naiskos war groß genug, dass seine Worte Echos verursachten. Was er sagte, klang in seinen eigenen Ohren so lächerlich, als hätte er gerade erklärt, Zeus sei verhaftet. Einige der Götter und Gäste grinsten überraschend vulgär.
    »Drogen?«, sagte Zeus mit spöttischer Empörung. »Was für ein drolliger Gedanke! So etwas würden wir nie tun. Und es ist auch nicht sehr logisch. Könnte jemand in einer Drogenphantasie dafür sorgen, dass du ein Bein verlierst und es von Würmern auffressen lassen? Unter Drogeneinfluss erlebt man ja so allerhand. Ich muss das wissen, bei meinem täglichen Konsum von Nektar und Ambrosia.« Er lachte trocken, wie über einen köstlichen kleinen Scherz. »Von einem solipsistischen Standpunkt aus betrachtet, wäre das durchaus möglich. Wir könnten Ausgeburten deiner Einbildungskraft sein. Schatten. Schemen. Halluzinationen. Aber es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass wir nur Statisten in einer kleinen Drogenphantasie von dir sind, nicht wahr? Du würdest so etwas doch spüren, oder? Du weißt doch, dass wir real sind?«
    Zeus war aufgestanden, während er gesprochen hatte. Er war noch größer als Athene. Seine Augen leuchteten. Er hielt ein Bündel strahlender Blitze in der rechten Hand. Kramer bekam Angst und trat unwillkürlich zwei Schritte zurück.
    »Aber drehen wir deine Idee doch einmal um«, fuhr Zeus fort. »Wie wäre es, wenn nicht wir von dir geträumt würden, sondern du einer unserer
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