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PolyPlay

PolyPlay

Titel: PolyPlay
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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Spritze.
    »Nimm's nicht persönlich, Kumpel«, sagte er.
    Wes versuchte hektisch, seinen Gurtverschluss zu öffnen, aber die Gurte saßen zu straff, und der Schließmechanismus war ihm nicht vertraut. Der Copilot griff nach seinem linken Arm, hielt ihn ohne große Probleme fest und senkte die Kanüle hinein. Es piekste kaum. Von der Einstichstelle breitete sich sofort eine Welle großer Wärme über seinen Arm, seine Brust, seinen Rumpf, die Beine und schließlich den ganzen Körper aus. Er wurde ganz ruhig. Er atmete gleichmäßig. Es war so verrückt, sich Sorgen zu machen. Er saß in diesem Hubschrauber und wurde leicht und sicher durch die Luft chauffiert, wozu sich den Kopf zerbrechen? Und vor allem – über was? Ihm ging ein Licht auf über die Herkunft des Copiloten: »Nimm's nicht persönlich, Kumpel«, hatte er gesagt, und der Akzent, den Wes herausgehört hatte, hatte nichts mit Dänemark zu tun. Dieser Mann war in Louisiana aufgewachsen, so sicher wie das Amen in der Kirche. Und er hatte in seinem Leben nie große Veranlassung gehabt, an seinem Dialekt etwas zu ändern. Dänemark kannte der höchstens von einem Europaurlaub. Mit Dänemark hatte all das hier nicht das Geringste zu tun.
    Der Copilot legte die Spritze beiseite und zog eine kleine silberne Schachtel hervor, die er Wes unter die Nase hielt. Ein Minidisc-Rekorder.
    »So, Wes. Jetzt erzähl uns doch mal was über Serverrack 9.«
    Nichts wollte Wes lieber, als über das Serverrack 9 erzählen! Er hatte die kleinen Geheimnisse in diesem Zusammenhang viel zu lange für sich behalten. Er war schon ein wenig stolz, überhaupt darauf gekommen zu sein, dass es im Zusammenhang mit Serverrack 9 etwas zu entdecken gab, und er fand, andere hatten ein Recht darauf, von seinen Entdeckungen zu erfahren. Also erzählte er die ganze Geschichte. Der Copilot hörte ihm interessiert zu, und eine kleine Diode am Gehäuse des Rekorders leuchtete grün. Als Wes alles berichtet hatte, was im Zusammenhang mit Serverrack 9 von Interesse war (und das war eine Menge, wie er selbst beim Erzählen erstaunt feststellte!), verstummte er.
    »War's das, Wes«?, fragte der Copilot freundlich. »Oder fällt dir noch was ein?«
    Wes dachte noch einmal scharf nach. Nein. Er hatte alles erzählt.
    »Gut«, sagte der Copilot. Er drehte sich um und verstaute den Rekorder wieder. »Bitte gib mir alles, was du in deinen Taschen hast. Auch deinen Laptop. Ja, den auch.«
    Wes gehorchte. Sein Vertrauen war vollkommen. Der Pilot sammelte die Sachen ein, drehte sich im Sitz um und beugte sich nach vorne, wahrscheinlich um sie im Stauraum vor seinen Füßen zu deponieren.
    »Er hat keinen Schimmer«, hörte Wes ihn zu seinem Kollegen sagen.
    »Scheint mir auch so«, gab der Pilot zurück.
    Wieso?, wollte Wes protestieren. Er fühlte sich fast ein wenig gekränkt. Er wusste eine ganze Menge über die Computer auf Sealand! Bis heute Morgen war er dort noch Systemadministrator gewesen! Aber er schwieg. Die beiden Männer waren viel zu nett, um ihnen Kummer zu machen.
    »Schade«, sagte der Copilot.
    »Ja. Schade«, gab der andere zurück.
    Der Copilot drehte sich zu ihm um und sah ihm ernst in die Augen. Seine Augen waren blau wie das Meer in einer Südseelagune an einem windstillen Tag. »Wes«, sagte er. Er klang ein wenig müde. Fast als wäre er traurig.
    Was kann ich tun, dachte Wes, um ihn aufzuheitern?
    »Ja?«, antwortete er bereitwillig.
    »Du lernst jetzt fliegen.«
    Fliegen!, dachte Wes. Was für eine außergewöhnliche Idee. Wes erinnerte sich daran, wie er als Kind häufig davon geträumt hatte, fliegen zu können. Es war jedes Mal ein wunderschönes Gefühl gewesen, und jedes Mal hatte er geglaubt, diese wunderbare, neu gefundene Fähigkeit vor allen anderen verbergen zu müssen, damit sie ihm erhalten bleibe. Was für eine dumme Idee!, erkannte er jetzt. Etwas so Schönes musste man mit anderen teilen, dadurch wurde es nur noch wertvoller. Der Copilot öffnete die Verriegelung an der Einstiegstür, und sie glitt elegant zurück. Wes hätte erwartet, dass jetzt mächtig Fahrtwind in die Kabine eindrang, aber als er hinaussah, stellte er fest, dass der Hubschrauber beinahe in der Luft stand. Was der Rotor in die Kabine hineinblies, kam Wes fast angenehm vor, auch wenn die Luft sehr kalt war. Die Turbine dröhnte in seinen Ohren, aber auch das klang nicht wirklich unangenehm.
    Das Meer lag tief, tief unter ihnen, beschienen vom goldenen Licht einer untergehenden Sonne. Weit und
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