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PolyPlay

PolyPlay

Titel: PolyPlay
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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du sagst oder tust, fällt bei ihr in ein vorgeprägtes Muster. Sie lebt weniger als du.
    Kramer nickte.
    »Gut«, sagte sie und lächelte das Lächeln einer Ärztin, die schon jede Art von Wahnsinn gesehen hat. »Dann werde ich Sie jetzt alleine lassen.« Sie ging hinaus. Ihre aufreizend schönen, leicht gebräunten und durchtrainierten Beine waren die Beine einer jüngeren Frau. Als sie die Tür der Beobachtungskammer hinter sich schloss, verwandelte sich die Trennscheibe in eine ganz normale, tapezierte Zimmerwand.
     
    Der Kies knirschte unter seinen Schuhen. Kramer ging nicht wirklich gern im Park der Anstalt spazieren, weil er dabei immer an den Todesgarten von Dr. Schwernik denken musste, aber seit er sein Zimmer verlassen durfte, nutzte er diese Möglichkeit manchmal doch.
    »Kommissar! Kommissarchen!«
    Kramer sah auf. Den Mann, der freudig erregt auf ihn zukam, erkannte er sofort: Heribert Konz. Penner-Harry.
    »Na, wenn dit keene Überraschung is! Wat mahrn Sie denn hier? Sind Se uff Besuch?«
    Kramer dachte: Softwarepuppe? Emergenz? Polyplay-Gott? Das hatte keinen Zweck. Mitspielen. Darum ging es.
    »Nee, Harry. Kleine Auszeit.«
    Harrys Trinkeraugen weiteten sich vor Überraschung. »Kleene Auszeit? Dit is ja 'n Ding! Da sind wa ja sozusahrn Nachbarn. Oder Kollejen!« Harry fand diese Idee so köstlich, er musste losprusten. »Kollejen!«
    Kramer hatte genug von dieser kleinen Einlage, er ging um Harry herum und lief weiter.
    »Kommissarchen! Nu warten Se doch mal!« Harry pflanzte sich vor ihm auf, er war immer noch sehr gut gelaunt. Kramer musste stehen bleiben, um nicht in ihn hineinzurennen. »Wat ick Sie noch frahrn wollte. Hamse denn den Scheißkerl jeschnappt? Den, der den Michael umjebracht hat?« Kramer schob Harry zur Seite. »Sicher doch, Harry. Immer. Fall gelöst.« »Dit is klasse, Kommissar!«, rief Harry ihm hinterher. »Respekt!« Kramer winkte mit der rechten Hand, ohne sich noch einmal umzudrehen.
     
    Die Wolke sah exakt wie ein Fisch aus. Mit Schwanz, Schuppen, Flossen, Augen, Maul, komplett. Es war kein Fisch der Neuzeit. Er glich eher den Versteinerungen, die Kramer einmal bei einem Besuch im Paläontologischen Museum in der Invalidenstraße gesehen hatte. Während sich der gigantische Wolkenfisch um seine Längsachse drehte, öffnete er sein Maul. Die Zähne waren furchterregend. Kramer schloss die Augen, weil er an die eine, kleine, unbewegliche Wolke auf dem Administratorenniveau denken musste. Als er sie wieder öffnete: kein Fisch mehr. Nur eine lang gezogene Wolke unter anderen lang gezogenen Wolken. Der Himmel zog sich zu. Es würde regnen.
    Kramer wunderte sich nicht allzu sehr. In der zerfaserten Version der Realität, die er bewohnte (oder sollte er sagen, auf dem Aktivitätsniveau, auf dem er sich aufhielt?), passierten ständig die seltsamsten Sachen. Gestern hatte sich ein Glas beim Aufgießen des Tees nicht von unten, sondern von oben gefüllt: Das heiße Wasser hatte zuerst nur eine dünne Schicht am Rand des Glases gebildet, war dann immer tiefer gesunken, um schließlich den Boden zu erreichen. Kramer hatte vorsichtig noch ein wenig Wasser nachgeschüttet, und das Glas war tatsächlich übergelaufen. Der Tee hatte geschmeckt wie immer. Mit Verwunderung bemerkte er, dass er diesen Nonsens zu genießen begann.
    »Was machst du denn für Sachen«, sagte Pasulke, der neben ihm herging, über diesen unverdächtigen Kiesweg. »Erst der ganze Hassel mit Anette. Dann fliegst du aus der Inspektion. Dann Charité. Junge, Junge.«
    Kramer war erleichtert. Er dachte schon, Pasulke wolle ihn nach dem Wolkenfisch fragen. Dabei suchte er nur einen Einstieg in das Gespräch.
    »Ich hab was für dich, das haut dich um«, sagte er. Dann hielt er inne, und sah Kramer zweifelnd an: Einen Kranken wollte er nicht umhauen. Kramer lächelte und dachte: Wenn du wüsstest. Er strahlte dabei offenbar so viel Selbstsicherheit aus, dass Pasulke fortfuhr.
    »Wir haben ein Geständnis in der Abusch-Sache. Vorgestern kreuzt doch der lang verschwundene Vater von dem Jungen bei einem Revier in Charlottenburg auf und sagt, er war's. Natürlich dachten wir zuerst, alles Banane, der hat ein Rad ab. Und dann bringt er Fakten, die kann nur der Täter wissen. Sieht so aus, als ob er Recht hat. Das wär dann das.«
    Kramer lachte leise. Sie dachten wirklich an alles. Humor hatten sie ja, das musste man ihnen lassen. Auch wenn es ein absolut perverser Humor war. Er musste es Pasulke sagen. Er musste es ihm
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