Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Polgara die Zauberin

Polgara die Zauberin

Titel: Polgara die Zauberin
Autoren: David Eddings
Vom Netzwerk:
der Jahrhunderte habe ich die Erfahrung gemacht, daß Menschen mit wenigstens einer leisen Ahnung von der wahren Geschichte die besseren Herrscher abgeben. Zumindest wiederholen sie nicht die Fehler der Vergangenheit.
    Wenn Geran und seine Söhne für ihre Herrschaft über die Rivaner wirklich nur eine trockene Wiedergabe der Taten zahlloser Führer, zahlloser Reiche in zahllosen vergangenen Zeitaltern benötigten, dann würde jene ermüdende Wiederholung eines endlosen ›und dann, und dann, und dann‹, wie es die langweiligen Mitglieder der Tolnedrischen Historischen Gesellschaft so entzückt, mehr als ausreichen.
    Wie meine Schwiegertochter indes so klug bemerkte, befassen sich die ›und danns‹ der tolnedrischen Gelehrten nur mit einem Teil der Welt. Da draußen existiert eine andere Welt, und in dieser anderen Welt geschehen Dinge, die zu begreifen die Tolnedrer von ihrer Veranlagung her nicht in der Lage sind. Am Ende wird es aber diese unsichtbare Welt sein, die der rivanische König kennen muß, um seine Aufgabe richtig zu erfüllen.
    Dennoch hätte ich gehorsamst behaupten können, meines Vaters langatmige Version der Geschichte unserer spezifischen Welt habe diese Lücke bereits gefüllt. Ja, ich bin sogar so weit gegangen, Vaters ermüdende Erzählung noch einmal zu lesen, wobei ich mir alle Mühe gegeben habe, mir selbst – und meiner Mutter – zu beweisen, daß wirklich nichts hinzuzufügen wäre. Schon bald aber sprangen mir Vaters krasse Auslassungen ins Auge. Der alte Gauner hatte nicht die ganze Geschichte erzählt, und Mutter wußte es.
    Zu Vaters Verteidigung muß ich allerdings anführen, daß es tatsächlich Ereignisse gab, bei denen er nicht zugegen war, und andere, bei denen er nicht ganz begriff, was wirklich vor sich ging. Darüber hinaus hatten einige der Auslassungen, die mich so störten, ihren Ursprung in seinem Bemühen, siebentausend Jahre Geschichte zu einem halbwegs handlichen Umfang zu verdichten. Die Fehler hätte ich ihm also noch verziehen, aber hätte er nicht wenigstens Namen und Jahreszahlen korrekt wiedergeben können? Um des lieben Familienfriedens willen werde ich seine mangelhafte Erinnerung, wer in welcher Situation genau was gesagt hat, ein wenig erläutern. Das menschliche Gedächtnis – immer vorausgesetzt, daß mein Vater tatsächlich menschlich ist – ist meiner Ansicht nach nie so genau. Warum sagen wir nicht einfach, daß Vater und ich gewisse Dinge eben ein wenig anders in Erinnerung haben, und lassen es dabei bewenden? Versucht das beim Lesen im Gedächtnis zu behalten. Verschwendet nicht eure – und meine – Zeit damit, die sicher häufigen Abweichungen herauszustellen.
    Je mehr ich las, desto deutlicher wurde mir bewußt, daß jene Dinge, von denen ich Kenntnis habe und Vater nicht wesentliche Bestandteile von Gerans Erziehung darstellen würden. Zudem überkam mich ein vermutlich erblich bedingter Drang nach einer vollständigeren Geschichte. Ich versuchte dagegen anzukämpfen, aber es überwältigte mich einfach. Ich entdeckte, daß ich meine Seite der Geschichte wirklich erzählen wollte.
    Ich hege da einen gewissen Verdacht in Bezug auf die Gründe meines Sinneswandels, aber ich denke, daß dies nicht der geeignete Ort ist, um ihn zu äußern.
    Der Mittelpunkt meines frühen Lebens war meine Schwester Beldaran. Wir waren Zwillinge, standen uns jedoch in gewisser Hinsicht sogar näher als Zwillinge. Beldaran, die nun schon seit mehr als dreitausend Jahren tot ist, ist immer noch ein Teil von mir. Ich trauere jeden Tag um sie. Das mag erklären, warum ich manchmal so ernst und zurückgezogen wirke. Vaters Erzählung bauscht die Tatsache, daß ich selten lächele, allerdings über Gebühr auf. Was gibt's da zu lachen, alter Wolf?
    Wie Vater bereits anführte, habe ich sehr viel gelesen, und dabei ist mir aufgefallen, daß Biographien für gewöhnlich mit der Geburt beginnen. Beldaran und ich hingegen fingen ein klein wenig früher an. Aus Gründen, die nur sie kennt, fügte Mutter es so.
    So, warum fangen wir jetzt nicht einfach an? Es war warm und dunkel, und wir schwebten in vollkommener Zufriedenheit, lauschten dem Herzschlag unserer Mutter und dem Strömen des Bluts durch ihre Adern, während ihr Körper uns ernährte. Das ist meine erste Erinnerung – das und Mutter, die leise zu uns sagte: »Wacht auf.«
Wir haben nie ein Geheimnis aus Mutters Herkunft gemacht. Nicht allgemein bekannt jedoch ist die Tatsache, daß der Meister sie rief, so wie er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher