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Pittys Blues

Pittys Blues

Titel: Pittys Blues
Autoren: Julia Gaebel
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erahnen konnte. Jones hatte ihn nicht eingeholt. Seine Schuhe hatten kaum Geräusche gemacht, als er den Weg verlassen hatte und um die Hütte herumgegangen war. Nur an ein paar feuchten Stellen schmatzte die Erde, weil sie sich an den robusten Schuhen festgesaugt hatte und sie nicht loslassen wollte.
    Dick rührte sich nicht. Also betrat Jones den Steg, kam mit Schritten, die wie dumpfe Hammerschläge klangen, von hinten auf ihn zu und setzte sich neben ihn. Minutenlang sagte keiner von ihnen ein Wort, bis Dick seine Schultern straffte und sich räusperte.
    «Scheißwetter.»
    «Ja, Scheißwetter.»
    «Weißt du, die Kleine...»Er brach ab. Als klar war, dass er eine Ermunterung brauchte, um weiterreden zu können, fragte Jones:«Was ist mit ihr?»
    «Hast du eine Ahnung, wer das ist?»
    Jones schüttelte den Kopf, als er merkte, dass Dick seinen Blick auf ihn richtete:«Noch lange kein Grund, sie anzubrüllen, meinst du nicht auch?»
    Dick erschien ihm mit einem Mal wieder wie ein Junge. Die in der Luft schwingenden Beine, die zusammengekniffenen Augen mit den fast mädchenhaft langen Wimpern. Sie hatten früher oft so gesessen, am Wasser, im Sommer.«Er lag auch so da», sagte Dick.
    Jones sah Dick an. Dann starrte er in den Fluss wie Dick. Der sammelte sich und setzte noch einmal an.

    Diesmal hatte er mehr Luft:« Ich habe nicht geschrieen, weil sie in meinem Wagen lag. Von dem ich, mal so ganz nebenbei bemerkt, auch nicht gedacht habe, ihn jemals wiederzusehen.»Jones ließ ihn reden.«Sie sah aus wie Elliot an dem Morgen, du weißt schon. Ich habe nicht sie gesehen, ich habe ihn gesehen.»Jones wusste, jahrelang hatte der Kummer über den Tod des kleinen Elliot in Dick geschlummert, immer auf der Lauer, immer für den Augenblick bereit, an dem er ihn packen könnte. Und Dick hatte all die Jahre damit zugebracht, vor eben diesem Augenblick wegzulaufen.
    Jetzt legte der Kummer mit einem Mal an Tempo zu und war ihm so dicht auf den Fersen, wie Dick es niemals für möglich gehalten hatte.
    Ohne es zu merken, beugte er sich immer weiter vor, drohte vom Steg zu rutschen, ins Wasser zu fallen und durch und durch nass zu werden. Wenn man Dick ins Gesicht sah, dann sah man einen Blick, der im Wasser versank. Als würde er dort etwas sehen, was ihn anzog, ihn rief, ihn lockte. Etwas, was ihm Ruhe schenken würde. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, ich hätte gedacht, dass Dick ganz mächtig einen übergebraten bekommen hatte und danach einfach ein bisschen blöd geblieben war.
    Blöd geblieben im Sinne von tot geblieben. Es ist eine Sache, blöd oder tot zu sein, es ist eine andere, es zu bleiben.
    Das hatte mein Onkel Bleeky mal gesagt. Und er wusste, wovon er sprach: Bleeky war mal gestorben. Ich meine, bevor er Jahre später endgültig tot geblieben ist.

    Genauso unbemerkt wie Dicks Wunsch, sich einfach ins Wasser fallen zu lassen, hatte sich Pitty an die beiden in ihren Gedanken versunkenen Männer herangepirscht. Ihre Schritte hatten im Gegensatz zu Jones’ keinerlei Geräusche gemacht. Alles in ihr hatte sich darauf konzentriert, wieder in Dicks Nähe zu kommen, und das so unauffällig, dass er keinen Grund haben würde, sie noch einmal anzuschreien. Pitty hatte die Gabe, absolut lautlos sein zu können. Wer viel Zeit mit sich allein und draußen in der Natur verbringt, gerade in unserer, die wunderschön, aber nicht harmlos ist, der lernt, wie man zwischen den Tieren und Pflanzen verschwinden und unsichtbar werden kann. Ich war immer zu laut. Es ist ja oft so, dass man, gerade wenn man besonders leise sein möchte, den meisten Krach macht. Mein Hintern hat das oft zu spüren gekriegt, wenn ich gegen Morgen nach einer bernsteinglühenden Nacht bei Tulipe ins Haus meiner Eltern geschlichen bin. Nichts kann so infernalisch scheppern wie eine leere Mülltonne, die unbeabsichtigt einen Tritt bekommt. Meine Mama war schneller auf den Beinen, als man bis drei zählen konnte, und hatte mich am Kragen. Aber meistens hat sie mich nicht erwischt.
    Wie dem auch sei, Pitty hatte gehört, was Dick gesagt hatte. Sie stand hinter Dick und Jones und räusperte sich. Sie wollte niemanden erschrecken. Trotzdem zuckten die beiden Männer zusammen und fassten sich beide an die Brust.
    «Entschuldige, aber du willst da jetzt nicht reinfallen, oder?»Pitty sah Dick an. Als Dick Pitty in die Augen
blickte, sah er, obwohl er sie nicht kannte, für die Länge eines Lidschlags Pitty, die Frau, Pitty, das Mädchen, Pitty, die
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