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Pittys Blues

Pittys Blues

Titel: Pittys Blues
Autoren: Julia Gaebel
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waren nicht mehr da, Dick hörte Vögel zwitschern, und er spürte die entspannende Wärme der Sonnenstrahlen auf seiner Haut und die angenehme Kühle feuchten Grases. Die Helligkeit durchfloss ihn, und sie duftete nach Minze und Orangenblüten, sie roch nach Pitty. Er sah sie in diesem gleißenden Gelb, sie kam auf ihn zu, winkte ihm, lachte.
    Ebenso schnell, wie dieses Bild gekommen war, verschwand es auch wieder. Dick tastete nach ihr, aber sie lag nicht neben ihm.
    «Pitty?»Er war allein. Ein Echo fraß sich durch seine Ohren, ein Echo, das mit Pittys Stimme versprach, sie würde am nächsten Tag gehen.
    «Ich Idiot!»Er sprang aus dem Bett.
    Dick war mit einem Satz in seinen Klamotten und vor der Tür.
    Er erinnerte sich an seine Kindheit, an Elliot, wie unbezähmbar sie sich gefühlt hatten, wenn sie mit Stöcken bewaffnet durch die Umgebung gestreift waren, auf der Jagd nach Phantasieunholden, nach bösen Zauberern, die einen Wall um den Wald gezogen hatten, um die großen Jäger mit den reinen Herzen davon abzuhalten, die Drachen zu töten. Sie erbeuteten die Drachenschätze jedes Mal mit lautem Gejohle und mit einer umwerfenden Selbstverständlichkeit. Oder sie waren Bankräuber oder Sheriffs, was halt gerade wichtig war.
    Sie waren unbesiegbar gewesen - und jetzt fühlte Dick einen Hauch eben dieser Unbesiegbarkeit. Er war sich so sicher. Er wusste, er würde sie finden.
    Er ging erst, dann wurden seine Schritte raumgreifender,
und schließlich rannte er. Seine Füße waren Federn, und seine Arme holten Schwung und hoben ihn in die Luft. Dick kam am Waldrand zum Stehen, und erst da merkte er, wie sehr er außer Atem war. Er ließ den Oberkörper vornüberfallen und stützte die Hände auf den Oberschenkeln ab. Er musste lachen, er konnte nicht mehr aufhören. Seine Augen sahen nichts mehr außer dem immer heller werdenden Himmel, der aufbrechenden Wolkendecke. Die Schneeflocken auf seinen Unterarmen vermengten sich mit seinem Schweiß. Dick schossen die Gedanken durch den Kopf:«Nie, niemals wieder wirst du dich fühlen wie in genau diesem Moment.»
    Das war der Moment, in dem er Pittys Fußspuren im Schnee erkannte.
     
    Die kleinen Zweige waren nachmittags die Ersten, die ihre Schneeschicht verloren. Zuerst zog sich eine zarte Eisschicht über die locker gebündelten Eiskristalle. Und nach und nach bildete sich Schmelzwasser, bis die Bäume und Dächer die Schnauze voll hatten, sich schüttelten und den Schnee und das nasse Eis abwarfen.
    Der Schnee und Pitty gingen, wie sie gekommen waren, leise und unauffällig. Es war, als hätten die Uhren für drei Tage aufgehört zu ticken. Jetzt fingen die Pendel wieder langsam an zu schwingen, aber sie gingen in einem anderen Tempo, zeigten eine andere Zeit.
    Niemand konnte genau sagen, was es war oder woran es lag, aber jeder merkte es an sich selbst oder an seinem Gegenüber.

    Sogar Ben Simmons überwand sich und akzeptierte fürs Erste eine wackelige und schnell gebaute Brücke über das Wrack des Pick-ups. Pepper holte seinen Kran wieder ab, packte ihn bei sich warm ein und weigerte sich bis zum Sommer, ihn noch einmal zur Lichtung zu bringen. Im Sommer waren dann kaum noch genug Teile des Wagens da, die den Aufwand gelohnt hätten. Alle schielten deswegen immer wieder zu Scott McClure, aber der konnte sich mit den abenteuerlichsten Geschichten rausreden. Also, jedenfalls stieg Ben Simmons von da an über die Brücke, und alle anderen machten einfach einen Bogen um den Pick-up. Heute noch sieht man diesen Schlenker im Weg, auch wenn die wenigsten noch wissen, warum er da ist.
     
    Wie ich bereits gesagt habe, es gibt Menschen, die kommen besser mit Veränderungen klar als andere, und es gibt welche, die mögen es am liebsten, wenn alles bleibt, wie es immer war. So war es in Rickville. Eigentlich.
    Aber nachdem der Schnee geschmolzen war, konnte man durch das übliche Gemurmel und Gemaule doch hören, dass es ja mal ganz hübsch gewesen sei, so weiß. Jedenfalls besser als dieser blöde, nasse Dreck, mit dem sie sich jetzt herumschlagen mussten.
    Jeder hatte die drei Tage anders in Erinnerung. Aber jeden hatte der Schnee an den Füßen gegriffen und einmal kopfüber gehalten, und keiner wollte gern zugeben, dass Pitty die Stadt auch ein wenig verzaubert hatte. Außer Ben Simmons, aber der benutzte ein anderes Wort dafür.

    Ich für meinen Teil hatte mich auf den ersten Blick in Pitty verliebt. Ich wusste, dass ich sie nicht haben konnte, aber ich wusste,
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