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0855 - Geisel der Finsternis

0855 - Geisel der Finsternis

Titel: 0855 - Geisel der Finsternis
Autoren: Volker Krämer
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Eine dunkle Stimme ließ die Frau hochblicken.
    Der Mann, der soeben sein Handy zusammenklappte, erschien ihr aus dieser Perspektive massig, beinahe wie ein Gebirge. »Schon geschehen. Der Notarzt wird gleich hier sein.« Er ging in die Knie, warf einen besorgten Blick auf die hässliche Wunde, die sich von der Stirn des Mannes bis weit in seine Kopfhaare hinzog. »Das gibt eine feine Narbe. Man sollte sich nicht unbedingt immer mit den Grobmotorikern anlegen, wenn man ein Glas zu viel intus hat.«
    Dr. Artimus van Zant fuhr sich instinktiv mit einer Hand über seine bis zum Hinterkopf reichende Stirn… mit seinen knapp 46 Jahren war ihm da nicht viel übrig geblieben, das nach einem Kamm schrie. Im Nacken jedoch wucherten die Haare in voller Pracht - Artimus hielt sie stets zu einem Zopf geflochten zusammen.
    Keine unbedingte doktorlike Haarpracht. Doch solche Konventionen waren dem Südstaatler schon immer ein Greuel gewesen.
    Alles, nur nicht normal - ein Spruch, nicht mehr, doch mit diesen Worten konnte man van Zants Einstellung durchaus beschreiben. Und die vergangenen Jahre hatten ihm mehr als ausreichend Gelegenheit geboten, entsprechend zu leben.
    »Wo ist denn eigentlich der Verursacher dieser Schweinerei hiergeblieben?«, fragte er.
    Niemand antwortete van Zant. Das hätte ihm klar sein müssen - der Knabe hatte sich aus dem Staub gemacht, ehe man ihm unangenehme Fragen stellen konnte. Der Notarzt würde sicher auch eine Polizeistreife im Schlepptau haben.
    Keine zehn Minuten später war bereits alles gelaufen. Der Verletzte war abtransportiert, van Zant hatte seine Personalien hinterlassen, falls es zu einer Anzeige kommen sollte. Da jedoch war sich der Beamte nicht sicher, denn das Opfer war ihm nicht unbekannt. Spätestens an jedem zweiten Wochenende fischte die Polizei den Knaben aus einer solchen oder ähnlichen Situation heraus. Das war schon beinahe Routine.
    Als Artimus seinen Wohnsitz angab, runzelte der Cop die Stirn. »Tendyke Industries ? Seit wann ist das ein Hotel?«
    Van Zant zuckte nur die Schultern. Sein Wohnsitz war gleichzeitig sein Arbeitsplatz. Sicher - nicht eben gewöhnlich, doch zutreffend. Das Anwesen seiner Eltern - mit dem großen Herrenhaus darauf - hatte Artimus verkauft, nachdem er den Schock einmal verdaut hatte, der Sohn eines Vita-Kindes zu sein… einer Mutter, deren Leben vier Jahrhunderte gedauert hatte. Es lag ihm nichts daran, dort zu wohnen - kein Bedauern, keine ständigen Erinnerungen an eine nicht eben glückliche Kindheit in finanziellem Reichtum und emotioneller Armut. Artimus schloss dieses Kapitel endgültig ab.
    Der Verkaufspreis ging komplett in den No-Tears-Trust , den Artimus gemeinsam mit seinem Chef Robert Tendyke gegründet hatte. Van Zant brauchte das Geld nicht - die Kinder, um die sich dieser Trust kümmerte und aufnahm, die hatten es verdammt nötig.
    Und so übel wohnte man in den Apartments von Tendyke Industries nun wirklich nicht. Speziell dann, wenn man sich dort kaum aufhielt. Seit van Zant in den Strudel der Ereignisse gezogen wurde, die Professor Zamorra und sein Team umgaben, hatten sich Begriffe wie Lebenszentrum, Freizeit oder Privatsphäre für ihn doch stark relativiert. Das alles hatte fließende Formen angenommen, die bis hinein in die Bereiche führten, die ein absolut normal denkender Mensch als Spinnerei abgetan hätte.
    Vampire… Dämonen… die Schwefelklüfte… Armakath, die weiße Stadt… andere Lebensformen, andere Welten.
    Der Beamte verabschiedete sich von Artimus und der Frau, die ebenfalls als eventuelle Zeugin dienen musste. Artimus sah sie nun etwas hilflos an der Bar stehen. Offenbar wusste sie nicht so recht, ob sie zurück an ihren Tisch gehen oder dieses wohl doch ein wenig fragwürdige Etablissement besser verlassen sollte. Van Zant lächelte - in dem ganzen Trubel hatte er seine Partnerin in Sachen Opferversorgung optisch nicht wirklich wahrgenommen.
    Artimus hatte sich stets als kläglicherVersager erwiesen, wenn es darum gegangen war, das genaue Alter eines Menschen zu schätzen. Das war einfach nicht sein Ding, und es konnte geschehen, dass er nach Abgabe seines Tipps bitterböse Blicke erntete - speziell von Frauen, die gerne viel jünger aussehen wollten, als sie es schließlich waren.
    Die Frau hier war mittelgroß, trug ein einfaches schwarzes Kleid, das ihre Figur absichtlich nicht stark betonte. Selbst im schummrigen Licht der Bar war zu erkennen, dass sie kein Modell war - zumindest keines der Sorte
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