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Pilger Des Hasses

Pilger Des Hasses

Titel: Pilger Des Hasses
Autoren: Ellis Peters
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Sterne hingen, die wie verstreute Funken durch die Äste der Bäume lugten. Er starrte Olivier fragend an, und Olivier erwiderte den Blick mit einem leichten, ernsten Lächeln und schwieg.
    »Kenne ich Euch?« fragte Luc schließlich verwundert.
    »Nein, aber Ihr werdet mich kennenlernen. Mein Name ist Olivier de Bretagne. Ich stehe genau wie Euer Herr in den Diensten von Laurence d'Angers. Ich kannte Rainald Bossard gut, er war sogar mein Freund, denn wir kamen in Laurences Gefolge aus dem Heiligen Land zurück. Ich bin gekommen, um Luc Me verel, und das ist zweifellos Euer Name, eine Botschaft zu überbringen.«
    »Eine Botschaft für mich?« Luc schüttelte den Kopf.
    »Von Eurer Verwandten und Herrin Juliana Bossard. Die Botschaft lautet so: Sie bittet Euch, nach Hause zu kommen, denn sie braucht Euch, und es gibt niemand, der Euren Platz einnehmen könnte.«
    Er fühlte sich immer noch betäubt und leer, und es fiel ihm schwer, den Worten zu glauben; aber er hatte kein Ziel mehr, er wußte nichts mehr, das er aus eigenem Willen tun konnte, und so fügte er sich gleichgültig in Oliviers Forderungen. »Wir sollten zur Abtei zurückkehren«, sagte Olivier und brachte damit zunächst das Naheliegende zur Sprache. Er erhob sich, und Luc reagierte sofort und stand ebenfalls auf. »Ihr nehmt das Pferd, ich kann laufen«, sagte Olivier, und wieder gehorchte Luc. Es war, als ließe sich ein einfältiger Mensch sanft an der Hand führen.
    Nach einer Weile fanden sie den alten Römerweg und die beiden Pferde, die Hugh zurückgelassen hatte. Der Bursche, der sie bewachte, schlief selig neben ihnen im Gras. Olivier übernahm wieder sein eigenes Pferd, und Luc stieg mühelos und mit geübten Bewegungen auf das ausgeruhte Tier; endlich erwachten seine Instinkte wieder. Der gähnende Bursche führte sie, da er den Weg gut kannte. Erst als sie schon die Hälfte des Rückwegs zum Meole-Bach und der schmalen Brücke zurückgelegt hatten, ergriff Luc von sich aus das Wort.
    »Ihr sagtet, sie will, daß ich zurückkomme«, fragte er unvermittelt, und in seiner Stimme mischten sich Schmerz und Hoffnung. »Ist das wahr? Ich verließ sie ohne Nachricht, denn was hätte ich tun sollen? Aber was denkt sie jetzt von mir?«
    »Nun, sie denkt, daß Ihr Eure Gründe hattet, sie zu verlassen, genau wie sie ihre Gründe hat, Euch wieder bei sich haben zu wollen. Ich habe auf ihren Wunsch in halb England nach Euch gefragt. Was wollt Ihr noch?«
    »Ich habe nicht gedacht, daß ich zurückkehren könnte«, erwiderte Luc, der verwundert und zweifelnd die lange, lange Straße anstarrte.
    Nein, nicht einmal nach Shrewsbury, und erst recht nicht nach Hause in den Süden. Und doch ritt er nun im kühlen, morgendlichen Zwielicht eine Weile vor der Prim neben dem jungen Fremden über die Holzbrücke, die den Meole-Bach überspannte, statt durch den wasserarmen Strom ins Erbsenfeld zu waten und den Weg zu nehmen, auf dem er die Enklave verlassen hatte. Sie bogen auf die Hauptstraße ein, es ging an der Mühle und dem Mühlteich vorbei und zum Torhaus in den großen Hof hinein. Dort stiegen sie ab, und der Bursche machte sich mit den beiden Pferden sofort auf den Weg zur Stadt.
    Luc sah sich benommen um, immer noch verwirrt von den unvertrauten Eindrücken, als wären seine Sinne noch benebelt und schwerfällig, nachdem er so mühsam ins Leben zurückgekommen war.
    Um diese Stunde war der Hof leer. Nein, nicht ganz. Auf der Steintreppe, die zum Gästehaus hinaufführte, saß jemand allein und sehr ruhig, das Gesicht zum Tor gewendet. Als sein Blick auf sie fiel, stand sie auf und stieg die breite Treppe hinunter und kam mit raschen, federnden Schritten auf ihn zu. Da erkannte er Melangell.
    Wenigstens an ihr war nichts Unvertrautes. Ihr Anblick schenkte sogar der Steinwand in ihrem Rücken und dem Pflaster unter ihren Füßen Farbe und Form und Wirklichkeit. Trotz des zartgrauen Zwielichts konnte er den Umriß ihres Kopfes und ihrer Hände und ihr helles Haar erkennen. Das Leben strömte wie ein schmerzhafter Stoß in Luc zurück wie das Gefühl in eine betäubte Wunde. Sie kam ihm mit erhobenem Gesicht und ausgestreckten Armen entgegen und lächelte ganz leicht mit Augen und Lippen. Und dann, als sie ein paar Schritte vor ihm zögerte, sah er den dunklen Bluterguß, der ihre Wange entstellte.
    Der Fleck erschütterte ihn. Er krümmte sich vor Scham und Kummer und stolperte blind in ihre Arme, die ihn freudig aufnahmen. Er sank auf die Knie, legte die
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