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Pilger Des Hasses

Pilger Des Hasses

Titel: Pilger Des Hasses
Autoren: Ellis Peters
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Bangor sicherte, sondern ließ auch kein Wort von dieser Schuld und diesem Spruch verlauten. Wie sollte Ciaran also je Gefahr laufen, sein Leben zu verlieren? Die beiden wären allein gewesen, wenn Gott nicht dafür gesorgt hätte, daß ein Zeuge den Urteilsspruch hörte und es auf sich nahm, die erforderliche Rache zu üben.«
    »Und das wart Ihr«, warf der Abt ruhig ein. Er enthielt sich jeder Bewertung.
    »Das war ich, Ehrwürdiger Vater. Denn als Ciaran schwor, die auferlegten Bedingungen zu erfüllen, schwor ich einen ebenso feierlichen Eid, ihm durch das ganze Land zu folgen und sein Leben als Rache für meinen Herrn zu nehmen, wenn er je gegen die Bedingungen verstoßen sollte.«
    »Und woher wußtet Ihr«, fragte Radulfus mit unverändert freundlicher Stimme, »welchen Mann Ihr zu Tode jagen mußtet? Denn Ihr hattet sein Gesicht nicht deutlich gesehen und kanntet auch seinen Namen nicht.«
    »Ich wußte, in welche Richtung er reiste und wann er aufgebrochen war. Ich wartete an der Straße auf einen Mann, der barfuß gen Norden ging - und es mußte einer sein, der nicht daran gewöhnt war, barfuß zu laufen und der gut gekleidet war«, erklärte Luc mit einem kurzen, traurigen Lächeln. »Ich sah das Kreuz an seinem Hals, ich schloß mich ihm an und sagte ihm nicht, wer ich war, sondern was. Ich nahm einen anderen Namen an, damit auf meine Herrin oder ihr Haus kein Makel fiel. Ein Apostelname in Austausch für einen anderen!
    Schritt für Schritt folgte ich ihm bis hierher und ließ ihn Tag und Nacht nicht aus den Augen und ließ ihn nie vergessen, daß ich ihm den Tod bringen würde. Er konnte nicht um Hilfe bitten und sich von mir befreien, denn ich konnte ihm leicht die Pilgerverkleidung abreißen und zeigen, wer er wirklich war. Und ich konnte ihn nicht anzeigen - teils aus Furcht vor Bischof Henry und teils, weil ich keinen weiteren Streit zwischen den Parteien wollte. Mir ging es nur um die Rache zwischen zwei Männern. Hauptsächlich aber, weil er mein war, mein, und weil ich nicht wollte, daß mir ein anderer Rächer oder eine Gefahr zuvorkam. So blieben wir zusammen. Er versuchte, mir zu entkommen, aber er war kurzatmig und schwach und nach so vielen Meilen im Gehen behindert, und ich blieb bei ihm und wartete.«
    Er blickte plötzlich auf und bemerkte den mitfühlenden, ruhigen Blick des Abtes. Er riß die dunklen, klaren Augen auf. »Ich weiß, daß es nicht schön war. Aber auch ein Mord ist nicht schön. Und dieser Makel trifft nur mich - mein Herr ging makellos ins Grab, nachdem er einen Gegner verteidigt hatte.«
    Olivier, der bisher geschwiegen hatte, sagte: »Und das habt Ihr auch getan!«
    Das Grab, dachte Cadfael während der Messe, war Luc verschlossen geblieben, aber der ausgestreckte Arm, der seinen Gegner vor den drei Räubern schützte, durfte nie vergessen werden. Er hatte sich zurückgehalten und ihm das Leben geschenkt. Er war jung und trug keine Schuld, und nach einer Art von Tod lebte er nun wieder. Ja, Olivier hatte die Wahrheit gesagt. Er hatte sein Leben riskiert und den Gegner verteidigt, und so blieb zwischen Luc und seinem Herrn nichts weiter zurück als der unglückliche, der sinnlose und zufällige Tod selbst.
    Er erinnerte sich auch, während er in seine Gebete vertieft war, daß die wenigen Tage, in denen St. Winifred ihre Gunst gezeigt hatte, indem sie die verwirrten Lebensfäden eines halben Dutzends Menschen in Shrewsbury entwirrte, zugleich die Tage waren, in denen sich das Schicksal aller Engländer entschied, vielleicht nur mit weniger Mitgefühl und Weisheit. Denn inzwischen war wohl schon der Tag für die Krönung der Kaiserin festgelegt, und vielleicht war ihr sogar schon die Krone aufs Haupt gesetzt worden. Zweifellos hatten Gott und die Heiligen auch dies bedacht.
    Matthew-Luc bat kurz vor der Vesper noch einmal um eine Audienz beim Abt. Radulfus ließ ihn ohne Nachfrage hereinbitten und versuchte, als sie allein waren, sein Bedürfnis zu ergründen.
    »Ehrwürdiger Vater, wollt Ihr mir die Beichte abnehmen? Denn ich brauche für den Eid, den ich brechen mußte, eine Absolution. Ich wünsche aufrichtig, mich von der Vergangenheit zu reinigen, ehe ich der Zukunft entgegensehe.«
    »Das ist ein guter, kluger Wunsch«, erwiderte Radulfus. »Aber sagt mir eines - erbittet Ihr die Absolution, weil es Euch nicht gelungen ist, den Schwur einzuhalten?«
    Luc, der schon niedergekniet war, hob den Kopf und erwiderte den Blick des Abtes offen und ohne Hintergedanken.
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