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Picknick auf dem Eis (German Edition)

Picknick auf dem Eis (German Edition)

Titel: Picknick auf dem Eis (German Edition)
Autoren: Andrej Kurkow
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nach innerer Wärme befriedigte. Fünfzig Gramm echter Kognak – und schon strömte die Wärme in zwei entgegengesetzte Richtungen – nach oben, in den Kopf, und nach unten, in die Füße. Und die Gedanken verlangsamten sich.
    Früher hatte Viktor davon geträumt, Romanschriftsteller zu werden. Aber er hatte es noch nicht einmal bis zu Novellen geschafft. Obwohl er ein paar unvollendete Manuskripte zwischen Aktendeckeln herumliegen hatte. Aber das war es dann auch, es war ihr Schicksal, unvollendet zu bleiben. Er hatte einfach kein Glück mit den Musen. Aus irgendeinem Grund hielten sie sich in seiner Zweizimmer-wohnung nie lange genug auf, als daß er wenigstens eine Erzählung hätte zu Ende schreiben können. Daher auch sein Mißerfolg in dieser Gattung. Die Musen waren erstaunlich unbeständig in ihrem Verhältnis zu ihm. Vielleicht war er auch selber schuld, weil er sich so unzuverlässige Musen aussuchte. Nun aber, allein mit seinem Pinguin, beschäftigte er sich trotz allem weiter mit dem kurzen Genre, und wurde jetzt nicht mal schlecht dafür bezahlt.
    Durch und durch aufgewärmt, verließ er das Café. Draußen regnete es immer noch. Der Tag war fad und feucht.
    Bevor er nach Hause zurückkehrte, kaufte er in einem Geschäft noch ein Kilo gefrorenen Lachs für Mischa.
    9
     
    Vor der Reise nach Charkow mußte Viktor noch ein Problem lösen: bei wem sollte Mischa-Pinguin bleiben? Wahrscheinlich würde der Pinguin eine dreitägige Einsamkeit problemlos überstehen, aber Viktor machte sich Sorgen. In Gedanken ging er alle Bekannten durch – Freunde hatte er leider keine –, aber sie waren alle eher entfernte Bekannte, und Viktor wollte sich nicht an sie wenden. Er kratzte sich am Hinterkopf und trat ans Fenster.
    Draußen nieselte es. Neben dem Hauseingang unterhielt sich ein Polizist mit einer alten Nachbarin. Viktor erinnerte sich an den alten Witz vom Pinguin und dem Polizisten und lächelte. Er ging zum Telefon und suchte in seinem Notizbuch die Nummer seines Revierpolizisten.
    »Leutnant Fischbein«, antwortete eine klare Männerstimme am anderen Ende der Leitung.
    »Entschuldigen Sie«, stammelte Viktor und suchte nach Worten. »Ich habe eine Bitte an Sie… Ich wohne in Ihrem Revier…«
    »Ist was passiert?« unterbrach ihn der Revierpolizist.
    »Nein. Bitte, denken Sie nicht, daß ich einen Witz mache. Das Problem ist, ich muß für drei Tage auf eine Dienstreise, und ich habe niemanden, bei dem ich meinen Pinguin lassen kann…«
    »Wissen Sie«, entgegnete ihm der Revierpolizist mit fester, ruhiger Stimme. »Leider habe ich keine Möglichkeit, Ihren Pinguin bei mir unterzubringen, ich wohne zusammen mit meiner Mutter in einem kleinen Zimmer…«
    »Sie haben mich falsch verstanden«, sagte Viktor aufgeregt. »Ich wollte Sie nur bitten, ein paarmal zu mir zu kommen und ihn zu füttern… Ich gebe Ihnen die Schlüssel.«
    »Das kann ich machen. Sagen Sie mir Ihren Namen und Ihre Adresse, und ich komme bei Ihnen vorbei. Sind Sie gegen drei Uhr zu Hause?«
    »Ja.«
    Viktor setzte sich in den Sessel.
    Noch vor einem guten Jahr hatte auf dessen breiter Armlehne normalerweise Olja gesessen, eine zierliche Blondine mit sympathischer Stupsnase und ewig vorwurfsvollem Blick. Manchmal hatte sie ihren Kopf auf seine Schulter gelegt, und als wäre sie eingeschlafen, tauchte sie in ihre Träume ein, in denen wahrscheinlich kein Platz für ihn war. Er durfte nur in der Wirklichkeit existieren. Aber auch da fühlte er sich selten von ihr gebraucht. Sie war schweigsam und nachdenklich. Was hatte sich seit der Zeit, als sie ohne jede Erklärung gegangen war, geändert?
    Jetzt stand Mischa-Pinguin neben ihm. Er war schweigsam, aber auch nachdenklich? Was ist das eigentlich: Nachdenklichkeit? Vielleicht nur die Beschreibung eines Blicks?
    Viktor bückte sich und sah in die Augen des Pinguins. Er betrachtete sie aufmerksam und suchte nach Anzeichen von Nachdenklichkeit, fand aber nur Trauer.
    Der Revierpolizist kam Viertel vor drei. Er zog sich die Schuhe aus und ging ins Zimmer. Sein Äußeres entsprach nicht seinem Nachnamen. Er war ein breitschultriger, hellhaariger und blauäugiger Bursche, fast einen Kopf größer als Viktor und hätte sicher eher in eine Baseballmannschaft gepaßt als in die Polizei. Aber trotzdem war ausgerechnet er der Revierpolizist.
    »Nun, wo haben Sie denn das Tier?« fragte er Viktor.
    »Mischa!« rief Viktor, und der Pinguin kam aus seinem Winkel hinter dem dunkelgrünen Sofa hervor.
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