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Picknick auf dem Eis (German Edition)

Picknick auf dem Eis (German Edition)

Titel: Picknick auf dem Eis (German Edition)
Autoren: Andrej Kurkow
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vorbeikommen?« fragte Mischa zum Schluß.
    »Morgen.«
    Als Mischa gegangen war, hörte Viktor auf der Straße das Geräusch eines anspringenden Automotors. Er blickte aus dem Fenster und sah vor seinem Hauseingang einen silbrigen ›Lincoln‹, lang und protzig, davonfahren.
    Er fütterte Mischa mit einer gefrorenen Scholle. Dann kehrte er in die Küche zurück, setzte sich an den Tisch und begann, den bestellten Nekrolog zu schreiben. Durch das kleine Fenster zwischen Bad und Küche konnte er das Plätschern des Wassers hören. Und während er einen Entwurf für das ›Kreuzchen‹ niederschrieb, lächelte er und dachte an den Pinguin, der das klare kalte Wasser so liebte.
    7
     
    Der Herbst ist die beste Zeit, um Nekrologe zu schreiben; die Zeit des Welkens, des Trauerns, der Suche nach dem Vergangenen. Der Winter dagegen ist eine gute Zeit fürs Leben, er ist an sich fröhlicher mit seinem erfrischenden Frost und dem in der Sonne glitzernden Schnee. Aber bis zum Winter war es noch ein paar Wochen hin, und während dieser Zeit konnte man schon einen ganz schönen Vorrat für das nächste Jahr anhäufen. Eine Menge Arbeit war zu bewältigen.
    Draußen goß es wieder in Strömen, als Mischa-Nicht-Pinguin zu ihm kam. Er las den Nekrolog und war sehr zufrieden. »Wieviel?« fragte er und zückte seine Brieftasche.
    Der Hausherr zuckte mit den Schultern. Bis jetzt war er immer monatlich bezahlt worden.
    »Na hör mal«, sagte Mischa. »Gute Arbeit muß auch anständig bezahlt werden.«
    Mit dieser Feststellung konnte man schwerlich nicht einverstanden sein, und Viktor nickte.
    Mischa überlegte.
    »Du solltest wenigstens doppelt so viel wie die teuerste Nutte bekommen… Sind 500   Grüne okay?«
    Die Bemessung des Honorars nach dem maximalen Tarif für Prostituierte gefiel Viktor gar nicht, die Summe dagegen sehr. Er nickte wieder und bekam von Mischa fünf Hundertdollarscheine.
    »Wenn du nichts dagegen hast, suche ich dir noch ein paar Kunden!« schlug Mischa vor.
    Viktor hatte nichts dagegen.
    Mischa-Nicht-Pinguin ging fort. Draußen hielt das graue Regenwetter an. Die Zimmertür schwang auf, und Mischa-Pinguin stand auf der Schwelle. Er stand eine Minute lang da, ging dann zu seinem Herrchen, schmiegte seinen Körper an dessen Knie und blieb so stehen. Viktor streichelte das liebe Tier.
    8
     
    Nachts hörte Viktor, der einen leichten Schlaf hatte, den unter Schlaflosigkeit leidenden Pinguin in der Wohnung hin- und herschlurfen. Er watschelte herum und ließ alle Türen sperrangelweit offen. Manchmal schien er stehenzubleiben und tief zu seufzen, wie ein alter Mann, der des Lebens und seiner selbst überdrüssig war.
    Am Morgen rief Igor Lwowitsch an und bat Viktor, in die Redaktion zu kommen.
    Bei einer Tasse Kaffee erörterten sie den letzten Stand der ›Kreuzchen-Kartei‹. Grundsätzlich war der Chef zufrieden.
    »Unser einziges Manko ist«, sagte er, »daß alle unsere zukünftigen Verstorbenen Kiewer sind. Natürlich zieht die Hauptstadt alle mehr oder weniger bedeutenden Leute magnetisch an, aber auch in anderen Städten leben berühmte Leute.«
    Viktor hörte aufmerksam zu und nickte von Zeit zu Zeit.
    »Wir haben unsere Korrespondenten überall«, fuhr der Chef fort. »Sie sammeln schon die notwendigen Informationen. Man muß nur hinfahren und alles, was sie gesammelt haben, bei ihnen abholen. Mit der Post ist es hoffnungslos, und dem Fax sollte man solche Sachen nicht anvertrauen. Übrigens würde ich Sie bitten, sich dessen anzunehmen…«
    »Wessen?« fragte Viktor.
    »Man muß in einige Städte fahren, um alle diese Materialien abzuholen… Erst nach Charkow, dann nach Odessa, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Natürlich auf Kosten der Redaktion…«
    Viktor war einverstanden.
    Auf der Straße nieselte es wieder. Auf dem Nachhauseweg ging Viktor in ein Café, bestellte einen einfachen Kognak und einen doppelten Mokka. Er wollte sich aufwärmen.
    Das Café war leer und ruhig. Die richtige Atmosphäre für jemanden, der von der Zukunft träumen – oder auch umgekehrt – sich an die Vergangenheit erinnern wollte.
    Viktor nippte am Kognak. Ein vertrauter Geruch kitzelte seine Nase. »Hm! Echter!« freute er sich.
    Der angenehme Aufenthalt im Café, diese Ruhepause zwischen Vergangenheit und Zukunft, mit einem Gläschen Kognak und einem Täßchen Kaffee, stimmte ihn romantisch. Er fühlte sich weder einsam noch unglücklich, sondern eher als vollwertiger Cafébesucher, der sein geringfügiges Bedürfnis
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