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Picknick auf dem Eis (German Edition)

Picknick auf dem Eis (German Edition)

Titel: Picknick auf dem Eis (German Edition)
Autoren: Andrej Kurkow
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mit einem Fotoapparat in der Hand das Café verlassen.
    Viktor sah sich noch einmal um und versuchte zu begreifen, wen der junge Mann hatte fotografieren wollen. Aber außer ihm und den beiden Aserbaidschanern war in diesem Teil des Cafés niemand.
    ›Sicher wollte er die Aserbaidschaner…‹, dachte er und trank wieder einen Schluck von dem verdünnten Orangensaft.
    Die Zeit verging. In dem hohen Glas war nur noch ein kleiner Rest übrig. Viktor betrachtete die ungeöffnete Bierdose und beschloß, das Bier zu trinken und eine neue Dose zu kaufen.
    Auf seinen Tisch steuerte ein Mädchen in Jeans und Lederjacke zu. Auf dem Kopf, der eine makellose Schädelform verriet, trug sie ein fest gebundenes Rockertuch mit einem Knoten im Nacken. Darunter quoll ein kastanienbrauner Pferdeschwanz hervor.
    Sie setzte sich neben ihn und sah ihn mit ihren geschminkten Augen an.
    »Du wartest wohl nicht auf mich?« fragte sie ihn lächelnd.
    Viktor fuhr zusammen, richtete sich auf, die Situation war ihm peinlich.
    ›Nein‹, dachte er fieberhaft. ›Der Korrespondent ist ein Mann… Obwohl, er könnte sie ja an seiner Stelle geschickt haben…‹
    Viktor musterte das Mädchen flüchtig, er suchte nach einer Tasche oder einer Aktenmappe, in der sie die für ihn wichtigen Papiere mitgebracht haben könnte, aber sie hatte nur eine winzig kleine Handtasche bei sich, in die noch nicht einmal eine Bierdose gepaßt hätte.
    »Na was ist, Schätzchen? Oder hast du keine Zeit?« machte sie sich wieder bemerkbar, und Viktor war sofort klar, daß er auf sie wirklich nicht wartete.
    »Danke«, sagte er, »Sie haben sich geirrt.«
    »Im allgemeinen irre ich mich selten«, plapperte sie mit süßer Stimme, während sie aufstand. »Aber alles ist möglich…«
    Als Viktor wieder allein am Tisch saß, seufzte er erleichtert auf und betrachtete die ungeöffnete Bierdose. Dann sah er auf die Uhr. Vier Minuten vor sieben. Jetzt könnte er aber wirklich kommen.
    Aber der Korrespondent erschien nicht. Um halb acht leerte Viktor die Bierdose und ging. Er aß im Hotelrestaurant. Von seinem Zimmer aus rief er wieder seinen Korrespondenten an, aber das Telefon klingelte und klingelte, schließlich legte Viktor auf.
    Die Augen fielen ihm zu. Die Wärme des Hotelzimmers ließ ihn faul und schläfrig werden.
    So beschloß er, den Korrespondenten am nächsten Morgen anzurufen, legte sich auf sein Bett und schlief sofort ein.
    11
     
    In Kiew nieselte es mal wieder. Der Revierpolizist Sergej Fischbein-Stepanenko ging in Viktors Wohnung, zog sich die Schuhe aus, lief auf grünen Wollsocken in die Küche, zog ein großes Stück Lachs aus dem Eisfach, zerbrach es auf den Knien in zwei Hälften und legte eine Hälfte in Mischas Schüssel, die auf einem niedrigen Kinderhocker stand.
    »Mischa!« rief er und horchte.
    Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er ins erste Zimmer, dann ins Schlafzimmer, wo er Mischa entdeckte, der schläfrig – oder auch traurig – hinter dem Sofa an der Wand stand.
    »Komm, komm was essen!« rief der Revierpolizist ihn freundlich.
    Mischa sah dem Polizisten in die Augen.
    »Na komm schon!« bat der Revierpolizist. »Dein Herr-chen kommt bald zurück! Du hast Sehnsucht, ja? Komm!«
    Der Pinguin watschelte ohne jede Eile in die Küche, und Sergej folgte ihm mit vorsichtigen Schritten. Er begleitete ihn bis in die Küche zu der Schüssel, verfolgte noch den Anfang der Mahlzeit und zog sich dann mit bestem Gewissen im Flur seine Schuhe an und lief hinaus in den Kiewer Nieselregen.
    ›Wär das schön, wenn es heute keinen Einsatz gäbe!‹ dachte er, während er den tief hängenden düsteren Himmel betrachtete.
    12
     
    Am Morgen weckte Viktor das Echo einer wilden Schießerei auf der Straße. Gähnend stand er auf und sah auf die Uhr: Es war acht Uhr früh. Er ging zum Fenster. Unten standen ein Polizeijeep und ein Krankenwagen.
    Als er den Blick hob, bemerkte er einen tiefblauen Himmel und eine blaßgelbe Sonne, deren erste Strahlen hinter den grauen stalinistischen Gebäuden auftauchten. Das Wetter versprach schön zu werden.
    Viktor setzte sich an den Tisch, auf dem das Telefon stand, und wählte die Nummer seines Korrespondenten.
    »Hallo!« ertönte eine Frauenstimme. »Wen möchten Sie sprechen?«
    »Kann ich Nikolaj Aleksandrowitsch sprechen?« fragte Viktor.
    »Wie ist bitte Ihr Name?« fragte die Frauenstimme.
    »Ich bin von der Zeitung … von den ›Hauptstadtnachrichten‹«; antwortete Viktor, der eine seltsame Anspannung in
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