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Picknick auf dem Eis (German Edition)

Picknick auf dem Eis (German Edition)

Titel: Picknick auf dem Eis (German Edition)
Autoren: Andrej Kurkow
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Während er auf Viktor zuwatschelte, betrachtete er den Polizisten mit großem Interesse.
    »Nun, Mischa«, sagte Viktor und wandte sich dann an den Revierpolizisten. »Entschuldigen Sie, wie war noch mal Ihr Vorname?«
    »Sergej.«
    Viktors Blick blieb auf dem Revierpolizisten haften.
    »Merkwürdig, Ihrem Namen nach dachte ich… aber Sie sehen überhaupt nicht wie ein Jude aus…«
    »Ich bin auch kein Jude«, sagte Fischbein lächelnd. »Mein richtiger Name ist Stepanenko…«
    Viktor zuckte mit den Schultern und sah wieder den Pinguin an.
    »Mischa«, sagte er zu ihm, »dieser Mensch heißt Sergej, und er wird dir Futter geben, solange ich auf Dienstreise bin.«
    Dann zeigte Viktor Sergej, wo alles zu finden war, und gab ihm die Zweitschlüssel für die Wohnung.
    »Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte der Revierpolizist beim Rausgehen. »Es geht alles in Ordnung.«
    10
     
    In Charkow war es eisig kalt. Als Viktor aus dem Zug stieg, war ihm gleich klar, daß er sich die Stadt besser nicht ansehen sollte, er war viel zu leicht angezogen.
    Nachdem er im Hotel ›Charkow‹ untergekommen war, rief er den Korrespondenten der ›Hauptstadtnachrichten‹ an, nannte seinen Namen, und sie verabredeten sich im Souterrain-Café der Oper.
    Der Abend, und damit der Termin der Verabredung rückte näher. Viktor ging die Sumskaja-Strasse entlang zur Oper, obwohl er spürte, wie die Kälte über sein Gesicht kroch und wie seine Hände in den Taschen der kurzen Pelzjacke taub wurden.
    Die Stadt hing grau über den Bürgersteigen, die Passanten hetzten herum, als fürchteten sie, die Häuser würden einstürzen oder die Balkone abbrechen, was schon seit langem keine Seltenheit mehr war.
    Noch fünf Minuten, dann mußte er sich in das unterirdische Labyrinth unter der Oper voller Bars, Geschäfte und Cafés begeben, dort ein doppelstöckiges Café mit einer Bühne suchen und sich auf dem oberen Rang an der Seite, mit dem Gesicht zur Bühne setzen. Und er sollte sich ein Glas Orangensaft und eine Dose Bier bestellen, aber die Bierdose nicht öffnen.
    Viktor beeilte sich, obwohl eine halbe Stunde Spielraum ausgemacht war – die Begegnung sollte zwischen halb sieben und sieben stattfinden. Die Kälte trieb ihn vorwärts.
    ›Ich werde da was Warmes essen‹, dachte Viktor unterwegs. ›Ein Stück Fleisch…‹
    Als er zur Oper kam, sah er den Eingang in einen bewohnbar gemachten Keller. Aus der einen Dunkelheit, die nur von den Fenstern der abendlichen Stadt erleuchtet war, tauchte er in eine andere, die von den grell erleuchteten unterirdischen Schaufenstern unterbrochen war.
    Auf den ersten Treppenstufen standen zwei alte Frauen, die die Hand aufhielten, und ein ziemlich junger Säufer mit aufgequollenem Gesicht.
    Lichtkorridore führten Viktor zum Eingang des Cafés. Hinter der Glastür saß ein Milizionär und las ein Buch. Er ließ sich von dem eintretenden Viktor ablenken.
    »Wohin?« fragte er zwar nicht streng, aber militärisch fordernd.
    »Was essen…« antwortete Viktor.
    Der Beamte nickte und zeigte geradeaus.
    Viktor ging an einer Bar vorbei, an deren Theke einige, dem Aussehen nach kriminelle Gäste Bier tranken. Der glatzköpfige Barkeeper lächelte Viktor schief an, als ob er ihn mit seinem Blick beiseite schieben wollte, schweig, geh weg und dreh dich nicht um!
    Vor ihm lag ein grell erleuchteter Raum, der geradezu einladend wirkte, und Viktor machte einen Schritt vorwärts.
    Er blieb vor einer kleinen Bühne stehen, an deren Seiten im Halbkreis zwei Tischreihen standen. Die oberen einen halben Meter über den unteren.
    Er ging zur Bar, bestellte ein Glas Orangensaft und eine Dose Bier.
    »Ist das alles?« fragte die Bardame, eine stark geschminkte dicke Blondine.
    »Haben Sie ein Fleischgericht?« fragte Viktor als Antwort.
    »Geräucherter Störrücken, Rührei…« antwortete sie monoton.
    »Dann ist das alles«, seufzte Viktor. »Erst mal alles.«
    Er bezahlte und setzte sich an seinen Tisch auf der oberen Estrade, mit dem Gesicht zur Bühne. Er nippte am Saft und verspürte nur noch größeren Hunger.
    ›Na schön‹, dachte er. ›Essen wir eben im Hotel, da gibt es ja ein Restaurant.‹
    Er sah auf die Uhr: zwanzig Minuten vor sieben.
    Im Café war es ruhig. An den Nebentisch setzten sich zwei Aserbaidschaner und tranken schweigend Bier.
    Viktor drehte sich um, musterte das ganze Café, als ihn plötzlich ein Blitzlicht blendete. Er blinzelte, rieb sich die Augen, öffnete sie und sah einen jungen Mann
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