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Phillips Bilder (German Edition)

Phillips Bilder (German Edition)

Titel: Phillips Bilder (German Edition)
Autoren: J. Walther
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die Häuser schnell, Schrebergärten, Felder. Im Hintergrund Berge, Wiesen, alte Sträßchen, von krummen Bäumen gesäumt. Das Zugfenster ist schmutzig.
    Der Zug hält an einem kleinen Bahnhof, das Gebäude ist leer, die Fenster verrammelt. Über die Wand zieht sich ein einsames Graffiti. Noch vier Stationen bis nach Hause. Vielleicht gibt es ja eine Panne. Zwei ältere, dicke Frauen schieben sich durch den Gang, nehmen eine Reihe vor mir Platz.
    Der Zug fährt über ein Viadukt. Ich blicke hinab auf ein Dorf, das sich im Tal um einen Bach windet. Eine alte Fabrik, tief unten, mit leeren Fenstern, düster und feucht. Ich taste nach meiner Kamera, ziehe sie hervor, aber da ist das Motiv schon verschwunden.
    Ein Bahnhof, noch drei Stationen bis zu meinem Ziel. Ich spanne mich an. Die alten Frauen unterhalten sich intensiv, seit sie eingestiegen sind. Jetzt dringen einzelne Fetzen ihres Gesprächs zu mir.
    „… hat er das dahin gebaut.“
    „Scheußlich. Das soll Kunst …“
    „… sind bestimmt nicht von ihm. Vier davon rothaarig.“
    „Die geraten aber nach dem. Keiner was Vernünftiges.“
    Der Zug bremst ab. Ich nehme ein Stationsschild wahr, springe auf. Überlege nicht, raffe nur meinen Rucksack und meine Jacke, hetze durch den Gang. Ich reiße die Tür auf und springe auf den Bahnsteig. Etwas fällt klirrend zu Boden, der Zug fährt an. Ich hebe meinen Rucksack auf, daneben liegt meine Kamera, sie muss aus der Seitentasche gerutscht sein. Ich nehme sie, drücke auf Power. Sie macht keinen Pieps mehr, das LCD-Feld bleibt leer. Fluchend stecke ich sie weg.
    Auf dem Bahnsteig ist niemand. Neben dem verödeten Bahnhofsgebäude beginnt ein Trampelpfad. Er führt durch eine Wiese, hohes Gras streift mich. Über den Baumwipfeln steht rötlich die Sonne. Es ist immer noch warm, von irgendwo zieht rauchiger Grillgeruch herüber. Ich springe über einen kleinen Bach, der fast zwischen dem hohen Gras verschwindet, aber ich weiß, dass er da ist.
    Schließlich gehe ich eine Böschung hinauf, überquere einen Feldweg und dann sehe ich sie. Die Villa hebt sich vor dem blasser werdenden Himmel ab, ist von Grün umhüllt. Auf dem Dach thront ein verschnörkeltes Gitter, zwischen dem Türmchen und einem Dachfenster schwingt sich eine Brücke. Neben der Spitze des Türmchens schwebt ein Ballon, durch den das Abendlicht leuchtet. Mein Herz setzt einen Moment aus, so sehr rührt es mich an. Es ist wie nach Hause kommen, an den Ort meiner Kindheit, meiner Träume. Wieso kann es nicht mein Zuhause sein?
    Ich gehe über die Wiese auf das Haus zu, zwischen Obstbäumen hindurch, deren Zweige bis auf den Boden hängen. Die Tür auf der Gartenseite, die wie immer offen ist, führt direkt in die Küche. Ich gewöhne mich an das spärliche Licht. Am Herd steht jemand. Er dreht sich herum, starrt mich an: „Hey Phillip, was machst du denn hier?“
    David trägt seine rotblonden Haare wieder so lang wie früher, vielleicht noch länger. Ich mustere ihn. Er ist etwas stämmiger geworden und er sieht immer noch gut aus.
    „Wollte zu Moritz …“ Ich nehme meinen Rucksack ab.
    „Der ist doch auf Kreta. Wusstest du das nicht?“
    „Nein.“ Ich lasse mich auf einen Stuhl sinken. Seit ich in Berlin bin, sehe ich Moritz kaum noch, höre selten von ihm.
    „Willst du was trinken?“
    Ich schüttle den Kopf. David entzündet ein Streichholz, macht den Herd an. Die Gasflamme beleuchtet sein Gesicht bläulich. Früher, als Moritz und ich erst dreizehn waren, war er schon siebzehn, wirkte unnahbar und selbstbewusst. Hochgewachsen, der Älteste der Geschwister.
    David stellt einen Wasserkessel auf den Herd: „Doch ’nen Kaffee?“
    Die Tür geht auf und Benjamin kommt herein, bleibt auf der Schwelle stehen, als er mich sieht: „Hallo, wo kommst du denn her?“
    „Hi.“
    Benjamin sieht mich erstaunt an. „Moritz ist gar nicht da.“
    „Weiß.“
    David nimmt zwei Tassen vom Bord, füllt Kaffeepulver ein. Der Wasserkessel beginnt zu zischen. Benjamin schaut mich immer noch verwirrt an, ich wende den Blick ab. Ich habe ihn seit drei Jahren nicht gesehen. Da saß ich mit Moritz hier in dieser Küche und er kam herein und wollte zu David. Moritz und ich sahen uns nur an und grinsten.
    „Wir sind nur kurz hier, meine Eltern sind auch weggefahren“, sagt David.
    „Scheiße.“
    „Was ist denn los?“, fragt Benjamin.
    „Nichts. Hab keinen Bock auf zu Hause.“
    Benjamin und David tauschen einen Blick. David gießt die Kaffeetassen auf.
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