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Phantom des Alexander Wolf

Phantom des Alexander Wolf

Titel: Phantom des Alexander Wolf
Autoren: G Gasdanow
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Zähne klapperten.
    »Haben Sie ihn gewarnt?«, fragte mich Jean.
    Ich schwieg ein paar Sekunden. Pierrot zuckte ein letztes Mal und starb. Darauf sagte ich:
    »Ich glaube, er hat phantasiert.«
    * * *
    Pierrots Leichnam war abtransportiert worden. Die Polizisten fuhren davon. Zwei Männer in Arbeitskleidung kamen mit einem Karren Sand und bestreuten die Blutlache auf dem Pflaster. Die Sonne stand bereits hoch. Ich bezahlte den Taxichauffeur und ging zu Fuß in Richtung Paris.
    Nach wie vor empfand ich seelischen Brechreiz und dumpfe Traurigkeit; zeitweilig wurde mir kalt, obwohl der Tag beinahe heiß war. Am nächsten Morgen musste der Artikel über Pierrot in der Zeitung stehen. »Das tragische Ende des krausköpfigen Pierrot«. Ich stellte mir den Redakteur und sein ewig erregtes Gesicht vor und hörte wieder einmal seine heisere, ruppige Stimme: »Der Titel ist der halbe Erfolg. Er packt den Leser. Ihre Aufgabe ist es dann, ihn bis zum Ende nicht mehr loszulassen. Bloß keine Literatur. Verstanden?« Anfangs, als ich ihn noch wenig kannte und von ihm abhängig war, zuckte ich verärgert die Schultern. Dann sah ich ein, dass er auf seine Weise recht hatte und dass in Zeitungsartikeln Literatur wirklich fehl am Platz war.
    Wie ich das sehr oft machte, betrat ich das erste relativ anständige Café, verlangte Kaffee und Papier, und während ich eine Zigarette nach der anderen rauchte, begann ich den Artikel über Pierrot. Ich konnte natürlich nicht so schreiben, wie ich gerne geschrieben hätte, und sagen, was ich gerne gesagt hätte. Stattdessen beschrieb ich ausführlich den sonnigen Morgen in dem friedlichen Pariser Vorort, die Villen in den stillen Straßen und dieses plötzliche Drama, das Pierrots so stürmischem Leben ein Ende gesetzt hatte. Natürlich konnte ich nicht umhin, auch der Pantherin ein paar Zeilen zu widmen, wobei der Gedanke an sie nur Abscheu in mir hervorrief. Ich schrieb über Philippe, über die Bar am Boulevard Saint-Denis, über Pierrots Biographie, wie er sie mir erzählt hatte, wobei er jeden Augenblick dazwischenschob:
    »Kannst dir das vorstellen?«
    Dann betrat ich die Telefonzelle und rief Inspektor Jean an:
    »Haben Sie nichts Neues erfahren?«
    »Nichts Besonderes. Die Pantherin behauptet übrigens, frühmorgens habe jemand angerufen und darauf gedrängt, sie solle Pierrot warnen.«
    »Warum hat sie es dann nicht getan?«
    »Sie sagt, Pierrot sei buchstäblich eine Minute, bevor wir eintrafen, nach Hause gekommen.«
    »Das erscheint mir nicht glaubhaft, ein allzu erstaunlicher Zufall. Ich weiß nicht recht, ob es sich lohnt, das in dem Artikel zu erwähnen. Übrigens wird Ihre Rolle darin besonders herausgestrichen. Doch, doch, ich konnte das nicht mit Schweigen übergehen.«
    Ich hängte den Hörer ein, dachte eine Weile nach, schließlich überwand ich meinen Abscheu und fügte vier Zeilen über einen »geheimnisvollen Telefonanruf« hinzu.
    Als ich den Artikel beendet und in die Redaktion gebracht hatte, war es bereits gegen zwölf Uhr mittags. Mir war dermaßen elend, die Niedergeschlagenheit, die ich schon nachts, während meiner Schlaflosigkeit, empfunden hatte, verstärkte sich dermaßen, dass ich fast nicht wahrnahm, was um mich herum vorging. Aus Gewohnheit und ohne an etwas anderes zu denken als an das bedrückende Gefühl, betrat ich ein kleines Restaurant unweit des Boulevard Montmartre. Doch kaum hatte ich den ersten Bissen Fleisch im Mund, sah ich plötzlich Pierrots Leiche vor mir, und im gleichen Moment schlug mir buchstäblich jener starke Schweißgeruch in die Nase, der am Ende des Verhörs von Philippe ausgegangen war. Ich musste mich ungeheuer beherrschen, um den sofortigen Brechreiz zu unterdrücken. Dann trank ich ein wenig Wasser und verließ das Restaurant; der verwunderten Wirtin sagte ich, mir sei schlecht, ich hätte Magenkrämpfe.
    Der Tag war heiß, die Straßen waren voller Menschen. Ich ging wie ein Betrunkener und suchte vergebens, mich dieser unerträglichen Schwermut zu entziehen sowie einer Art Gefühlsnebel, den ich einfach nicht abschütteln konnte. Ich schritt dahin und ließ unbewusst all den Lärm in mich eindringen, ohne mir über seine Bedeutung Rechenschaft abzulegen. Von Zeit zu Zeit stieg mir wieder Brechreiz die Kehle hoch, dann hatte ich den Eindruck, als könnte es überhaupt nichts Tragischeres geben als diese Menschenmenge zur sonnigen Mittagszeit auf den Pariser Boulevards sowie alles, was gerade geschah, und als verstünde ich
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