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Phantom des Alexander Wolf

Phantom des Alexander Wolf

Titel: Phantom des Alexander Wolf
Autoren: G Gasdanow
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auf einem gewaltigen weißen Pferd geritten kam. Ich erinnere mich, dass ich längst kein Gewehr mehr hatte, bestimmt hatte ich es nach meinem Schlaf in dem Wäldchen vergessen. Aber mir war die Pistole geblieben, die ich nun mühsam aus dem neuen und strammen Halfter zog. Ich stand ein paar Sekunden, die Pistole in der Hand; es war so still, dass ich ganz deutlich das trockene Aufschluchzen der Hufe auf der hitzerissigen Erde hörte, den schweren Atem des Pferdes und noch einen Laut, der sich anhörte, als würde ein kleiner Bund von Metallringen heftig geschüttelt. Dann sah ich, wie der Reiter die Zügel fahren ließ und das Gewehr, das bislang gefällt gewesen war, zur Schulter hochwarf. In diesem Augenblick schoss ich. Er bäumte sich im Sattel, glitt herab und fiel langsam zu Boden. Ich blieb unbeweglich stehen, wo ich stand, neben dem Leichnam meines Pferdes, zwei oder drei Minuten. Noch genauso wollte ich schlafen, ich empfand weiterhin die gleiche zermürbende Müdigkeit. Aber nun kam mir der Gedanke, dass ich ja nicht wisse, was mir bevorstand und ob ich noch lange am Leben wäre – und der nicht zu unterdrückende Wunsch, zu sehen, wen ich getötet hatte, veranlasste, dass ich mich von der Stelle rührte und zu ihm ging. Niemals und nirgends habe ich eine Wegstrecke so mühsam zurückgelegt wie diese fünfzig oder sechzig Meter, die mich von dem herabgefallenen Reiter trennten; trotzdem ging ich, setzte langsam Fuß um Fuß auf die rissige, heiße Erde. Endlich stand ich unmittelbar vor ihm. Es war ein Mann von vielleicht zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig Jahren; seine Mütze war fortgeflogen, sein blonder Kopf lag, zur Seite geneigt, auf dem staubigen Weg. Er war ein recht gut aussehender Mann. Ich beugte mich über ihn und sah, dass er im Sterben lag; zwischen seinen Lippen sprudelten rosa Schaumblasen und platzten. Er öffnete seine trüben Augen, sagte nichts und schloss sie wieder. Ich stand über ihn gebeugt und schaute ihm ins Gesicht, dabei hielt meine immer taubere Hand weiterhin die nun überflüssige Pistole. Plötzlich trug mir ein leichter, heißer Windstoß aus der Ferne das kaum hörbare Getrappel mehrerer Pferde zu. Da fiel mir die Gefahr ein, die mir womöglich noch drohte. Das weiße Pferd des Sterbenden stand, die Ohren argwöhnisch gespitzt, ein paar Schritte entfernt. Es war ein gewaltiger Hengst, sehr gepflegt und reinrassig, der Rücken ein wenig dunkler vom Schweiß. Er war von außergewöhnlicher Feurigkeit und Ausdauer; einige Tage, bevor ich Russland verließ, sollte ich ihn einem deutschen Kolonisten verkaufen, der mich mit einer großen Menge Proviant versorgte und mir einen gehörigen Betrag völlig wertlosen Geldes bezahlte. Die Pistole, mit der ich geschossen hatte – eine vortreffliche Parabellum –, warf ich ins Meer, und von alledem blieb mir nichts außer der bedrückenden Erinnerung, die mir langsam überallhin folgte, wohin das Schicksal mich verschlug. In dem Maße allerdings, wie die Zeit verging, blasste sie allmählich ab und hatte zuletzt ihren ursprünglichen Charakter nicht wieder gutzumachenden und brennenden Bedauerns beinahe verloren. Dennoch, vergessen konnte ich es nie. Viele Male – ganz gleich, ob es im Sommer war oder im Winter, am Meeresufer oder in der Tiefe des europäischen Kontinents – schloss ich, ohne an etwas zu denken, die Augen, und plötzlich tauchte aus der Tiefe meines Gedächtnisses erneut der glutheiße Tag im Süden Russlands auf, und alle meine damaligen Empfindungen kehrten mit der früheren Eindringlichkeit zurück. Wieder sah ich den riesigen graurosa Schatten des Waldbrands und sein langsames Vordringen unter dem Knacken der brennenden Äste und Zweige, ich empfand jene unvergessliche, zermürbende Müdigkeit und den fast unbezwingbaren Wunsch zu schlafen, die erbarmungslosen Sonnenstrahlen, die dröhnende Hitze, schließlich die stumme Erinnerung meiner rechten Hand an die Schwere der Pistole, ich fühlte ihren rauhen Griff, der sich gleichsam für immer meiner Haut eingeprägt hatte, sah das leichte Schwanken des schwarzen Korns vor meinem rechten Auge – und dann den blonden Kopf auf dem grauen und staubigen Weg und das Gesicht, verwandelt vom Nahen des Todes, jenes Todes, den ich, ja, ich, einen Augenblick zuvor aus der unbekannten Zukunft hergerufen hatte.
    Zu der Zeit, als das geschah, war ich sechzehn Jahre – somit war dieser Mord der Beginn meines selbständigen Lebens, und ich bin mir nicht sicher, ob er nicht
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