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Phantom des Alexander Wolf

Phantom des Alexander Wolf

Titel: Phantom des Alexander Wolf
Autoren: G Gasdanow
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unwillkürlich alles geprägt hat, was zu erfahren und zu erblicken mir später beschieden war. Jedenfalls, seine Begleitumstände und alles, was damit zu tun hatte – alles sollte viele Jahre später in Paris mit besonderer Deutlichkeit wieder vor mir auftauchen. Dazu kam es, weil mir der Erzählungsband eines englischen Autors in die Hände gefallen war, dessen Namen ich zuvor nie gehört hatte. Der Band hieß »Ich komme morgen« – »I’ll Come Tomorrow«, nach der ersten Erzählung. Insgesamt waren es drei: »Ich komme morgen«, »Goldfischchen« und »Das Abenteuer in der Steppe« – »The Adventure in the Steppe«. Alles war sehr gut geschrieben, besonders bemerkenswert waren der federnde und makellose Prosarhythmus und die eigenwillige Art, die Dinge nicht so zu sehen, wie andere sie sehen. Weder »Ich komme morgen« noch »Goldfischchen« konnten allerdings ein persönliches Interesse bei mir wecken, das über das für jeden Leser natürliche Interesse hinausgegangen wäre. »Ich komme morgen« war die ironische Geschichte einer untreuen Frau, ihrer ungeschickten Lügen und der Missverständnisse, die sich daraus ergaben. »Goldfischchen« – die Handlung spielte in New York – war im Grunde ein Dialog zwischen Mann und Frau und die Beschreibung einer bestimmten musikalischen Melodie; das Hausmädchen hatte vergessen, ein kleines Aquarium von der Zentralheizung herunterzunehmen, die Fischchen sprangen aus dem stark erhitzten Wasser und schlugen im Sterben auf dem Teppich um sich, doch die beiden Dialogpartner bemerkten das gar nicht, denn sie war mit Klavierspielen beschäftigt und er damit, ihrem Spiel zu lauschen. Die Erzählung zielte darauf ab, die musikalische Melodie zu einem sentimentalen und unüberhörbaren Kommentar werden zu lassen, woran auch die auf dem Teppich um sich schlagenden Goldfischchen unfreiwillig Anteil hatten.
    Mich erschütterte jedoch die dritte Erzählung: »Das Abenteuer in der Steppe«. Als Motto stand darüber eine Zeile von Edgar Allan Poe: »Beneath me lay my corpse with the arrow in my temple.« 1 Schon das hätte genügt, um meine Aufmerksamkeit zu fesseln. Ich kann jedoch nicht wiedergeben, was für ein Gefühl mich immer mehr ergriff, je weiter ich las. Es war die Erzählung einer Kriegsepisode; geschrieben war sie, ohne dass das Land, in dem sie spielte, oder die Nationalität der Beteiligten auch nur erwähnt worden wäre, obgleich allein schon der Titel »Abenteuer in der Steppe« darauf zu verweisen schien, dass es wohl Russland sein müsste. Sie begann folgendermaßen: »Das beste Pferd, das mir jemals gehört hat, war ein weißer Hengst, ein Halbblut von gewaltiger Statur und besonders ausgreifendem und schwungvollem Trab. Er war so großartig, dass ich ihn am liebsten mit einem der Pferde verglichen hätte, von denen in der Apokalypse die Rede ist. Diese Ähnlichkeit trat – für mich persönlich – noch dadurch zutage, dass ich auf ebendiesem Pferd meinem eigenen Tod entgegengaloppiert bin, über glühende Erde und an einem der heißesten Tage meines ganzen Lebens.«
    Ich fand nun eine präzise Rekonstruktion dessen, was ich in den fernen Bürgerkriegszeiten in Russland erlebt hatte, dazu die Beschreibung jener unerträglich heißen Tage, als die langwierigsten und heftigsten Gefechte stattfanden. Schließlich gelangte ich zu den letzten Seiten der Erzählung; ich las sie mit fast angehaltenem Atem. Dort erkannte ich meine schwarze Stute wieder und jene Wegbiegung, an er sie getötet worden war. Der Mann, aus dessen Sicht erzählt wurde, war zunächst überzeugt, dass der Reiter, als er mit seinem Pferd stürzte, zumindest schwer verwundet war, denn er hatte zweimal geschossen und meinte, er hätte beide Male getroffen. Ich verstehe nicht, warum ich nur einen Schuss bemerkt hatte. »Aber er war nicht tot, offenbar nicht einmal verwundet«, fuhr der Autor fort, »denn ich sah, wie er auf die Beine kam; im grellen Sonnenlicht glaubte ich den dunklen Glanz einer Pistole in seiner Hand zu bemerken. Ein Gewehr hatte er nicht, das weiß ich mit Bestimmtheit.«
    Der weiße Hengst setzte seinen schweren Galopp fort und näherte sich der Stelle, wo mit einer, wie der Autor schrieb, unbegreiflichen Unbeweglichkeit, vielleicht vor Furcht gelähmt, der Mann stand, in der Hand die Pistole. Dann verhielt der Autor sein dahinsprengendes Pferd und nahm das Gewehr an die Schulter, doch plötzlich, ohne einen Schuss zu hören, empfand er einen tödlichen Schmerz, unklar wo,
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