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Phantom des Alexander Wolf

Phantom des Alexander Wolf

Titel: Phantom des Alexander Wolf
Autoren: G Gasdanow
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und in den Augen heiße Finsternis. Einige Zeit später kehrte für einen kurzen und konvulsivischen Moment das Bewusstsein zu ihm zurück, und da hörte er langsame Schritte näher kommen, aber sogleich versank alles erneut im Nichts. Nach wiederum einer Weile, als er sich schon fast im Delirium des Todeskampfes befand, spürte er, unerklärlich wie, dass sich jemand über ihn beugte.
    »Ich unternahm eine übermenschliche Anstrengung, um die Augen zu öffnen und endlich meinen Tod zu sehen. So oft hatte ich sein schreckliches Eisengesicht im Traum erblickt, dass ich mich nicht geirrt hätte, ich hätte diese Gesichtszüge, die mir bis in die kleinsten Einzelheiten vertraut waren, immer erkannt. Jetzt aber sah ich verwundert ein jünglingshaftes und bleiches, mir völlig unbekanntes Gesicht mit fernen und, wie mir schien, schläfrigen Augen. Es war ein Junge von vielleicht vierzehn oder fünfzehn Jahren mit gewöhnlichen und hässlichen Gesichtszügen, die nichts als offenkundige Müdigkeit ausdrückten. Ein paar Augenblicke stand er so, dann steckte er seine Pistole in den Halfter und ging. Als ich wieder die Augen öffnete und in einer letzten Anstrengung den Kopf wandte, sah ich ihn auf meinem Hengst sitzen. Dann verlor ich erneut das Bewusstsein und kam erst viele Tage später wieder zu mir, im Hospital. Die Pistolenkugel hatte mir einen halben Zentimeter über dem Herzen die Brust durchschlagen. Mein apokalyptisches Pferd hatte mich nicht ganz bis in den Tod gebracht. Doch war es bis zu ihm, glaube ich, nicht mehr weit, und das Pferd setzte diese Reise fort, nur mit einem anderen Reiter auf dem Rücken. Ich gäbe viel darum, könnte ich erfahren, wo, wann und wie die beiden dem Tod begegnet sind und ob dem Jungen noch seine Pistole von Nutzen war, um auf das Phantom des Todes zu schießen. Im übrigen glaube ich nicht, dass er gut schießen konnte, so sah er nicht aus; dass er mich traf, war wohl eher Zufall, aber natürlich wäre ich der letzte, der ihm das zum Vorwurf machen wollte. Schon allein darum würde ich es nicht tun, weil er, denke ich, wahrscheinlich längst umgekommen und ins Nichts eingegangen ist, rittlings auf dem weißen Hengst, als letztes Traumbild dieses Abenteuers in der Steppe.«
    Mir blieben fast keine Zweifel, dass der Verfasser der Erzählung jener bleiche Unbekannte war, auf den ich damals geschossen hatte. Die völlige Übereinstimmung der Tatsachen samt allen charakteristischen Einzelheiten, bis hin zur Farbe und Beschreibung der Pferde, lediglich mit einer Reihe von Zufällen zu erklären, erschien mir unmöglich. Ich schaute noch einmal auf den Umschlag: »I’ll Come Tomorrow«, by Alexander Wolf. Das konnte natürlich ein Pseudonym sein. Aber davon ließ ich mich nicht beirren; ich wollte diesen Menschen unbedingt sehen. Dass er englischer Schriftsteller war, war ebenfalls erstaunlich. Alexander Wolf konnte freilich auch ein Landsmann von mir sein und das Englische gut genug beherrschen, um ohne die Hilfe eines Übersetzers auszukommen, das war noch die wahrscheinlichste Erklärung. Auf jeden Fall wollte ich das aufklären, koste es, was es wolle, dazu war ich schließlich diesem Mann, ohne ihn überhaupt zu kennen, viel zu lange und viel zu fest verbunden, und die Erinnerung an ihn zog sich durch mein ganzes Leben. Aus seiner Erzählung ging überdies klar hervor, dass er mir fast ebenso viel Interesse entgegenbringen musste, deshalb nämlich, weil »Das Abenteuer in der Steppe« für sein Dasein von großer Bedeutung war und sein Schicksal gewiss in noch höherem Maße geprägt hatte, als meine Erinnerung an ihn jenen entschwindenden Schatten prägte, der viele Jahre meines Lebens verdunkelt hatte.
    Ich schrieb ihm einen Brief an die Adresse des Londoner Verlags, der sein Buch herausgebracht hatte. Darin schilderte ich Tatsachen, die ihm unbekannt waren, und bat ihn, mir zu antworten, wo und wann wir uns sehen könnten – natürlich nur, falls diese Begegnung ihn ebenso interessierte wie mich. Es verging ein Monat, eine Antwort kam nicht. Natürlich war es möglich, dass er meinen Brief ungelesen in den Papierkorb geworfen hatte, in der Annahme, er stamme von einer Verehrerin seiner Kunst und enthalte die Bitte, er möge ihr sein Photo mit Autogramm zusenden und seine Meinung über den Roman der Absenderin äußern, den sie ihm schicken oder persönlich vorlesen werde, sobald sie eine Antwort von ihm erhalten habe. Dies erschien auch darum in gewissem Maße wahrscheinlich,
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