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Phantom des Alexander Wolf

Phantom des Alexander Wolf

Titel: Phantom des Alexander Wolf
Autoren: G Gasdanow
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Zigeunerliebchen, Marina.«
    Ohnehin benützte er häufig Verkleinerungsformen, wenn er von Frauen sprach: Zigeunerliebchen, Blondinchen, Schwarzköpfchen, Quecksilberchen – so dass es aus der Distanz wirkte, als erzählte er die ganze Zeit von Halbwüchsigen.
    Lange beschrieb er mir Marina, die seinen Worten nach über sämtliche denkbaren Vorzüge verfügte, was sowieso recht selten vorkommt; am erstaunlichsten schien mir jedoch, dass sie besser ritt als jeder Jockey und ihre Gewehrschüsse nie das Ziel verfehlten.
    »Wieso haben Sie sich dann von ihr getrennt?«, fragte ich.
    »Das habe ich gar nicht, lieber Freund«, sagte er. »Fortgegangen ist mein braunes Liebchen, und nicht weit von mir fort, zu meinem Nachbarn. Da«, sagte er und deutete auf das eingeschlagene Buch, »zu ihm ist sie gegangen.«
    »Zum Verfasser dieses Buches?«
    »Zu wem denn sonst?«
    »Darf ich mal sehen?«, sagte ich und streckte die Hand aus.
    »Bitte.«
    Ich wickelte das Papier auf – und sogleich sprang mir die bekannte Buchstabenreihe in die Augen: »I’ll Come Tomorrow«, by Alexander Wolf.
    Das war gleichermaßen überraschend wie verwunderlich. Ich schwieg ein paar Sekunden, den Blick weiterhin auf den Titel gerichtet. Dann fragte ich:
    »Sind Sie sicher, dass der Kommis in der Buchhandlung sich nicht geirrt und Ihnen etwas Falsches gegeben hat?«
    »Erlauben Sie«, sagte er, »was kann es da für einen Irrtum geben? Ich lese kein Englisch, aber hier irre ich mich nicht, da können Sie sicher sein.«
    »Ich kenne dieses Buch, aber kürzlich hat man mir gesagt, sein Verfasser sei Engländer.«
    Er lachte erneut.
    »Sascha Wolf Engländer! Warum nicht gar, hol’s der Teufel, Japaner?«
    »Sie sagen – Sascha Wolf?«
    »Ja, Sascha, oder wenn Sie mögen, Alexander Andrejewitsch Wolf. So ein Engländer wie wir beide.«
    »Kennen Sie ihn gut?«
    »Und ob ich ihn kenne!«
    »Ist es lange her, dass Sie ihn zuletzt gesehen haben?«
    »Voriges Jahr«, sagte er und schenkte sich Wodka ein. »Auf Ihr Wohl. Voriges Jahr, ungefähr zu dieser Zeit. Wie wir da zum Montmartre zogen, sind wir zwei Tage und zwei Nächte auch dort geblieben. Ich weiß gar nicht mehr, was alles war und wie ich nach Hause gelangt bin. So ist es jedesmal, wenn er nach Paris kommt. Wissen Sie, ich habe ja selbst nichts dagegen, mal zu trinken und – wie sag ich das jetzt? – ein wenig über die Stränge zu schlagen, aber er treibt es zu weit. Ich sage zu ihm: Sascha, gnade dir Gott. Drauf gibt er jedesmal zur Antwort: Wir haben nur ein Leben, sagt er, und das ist elend genug, also, zum Teufel, warum nicht? Was soll man da sagen? Sie müssen zustimmen.«
    Er war schon völlig betrunken, hatte allmählich eine schwere Zunge.
    »Demnach lebt er nicht in Paris?«
    »Nein, meist ist er in England, obwohl er sich überall herumtreibt. Ich sage zu ihm: Wieso, verdammt, schreibst du nicht auf Russisch? Wir könnten es lesen. Sinnlos, sagt er, auf Englisch bringt mehr ein, die zahlen besser.«
    »Und was war nun mit Marina?«
    »Haben Sie Zeit?«
    »So viel Sie wollen.«
    Da begann er in allen Einzelheiten von Marina zu erzählen, von Alexander Wolf und davon, wann und wie sich alles zugetragen hatte. Seine Erzählung war ungeordnet und ziemlich blumig, und bisweilen unterbrach er sie, um mal auf das Wohl von Wolf, mal auf das Wohl von Marina zu trinken. Er sprach viel und lange, und wenngleich er sich an keine chronologische Abfolge hielt, konnte ich mir ein mehr oder weniger deutliches Bild machen.
    Alexander Wolf war fünf oder sechs Jahre jünger als dieser Herr, der selbst Wladimir Petrowitsch Wosnessenski hieß und aus einer Priesterfamilie stammte. Wolf kam aus Moskau, vielleicht auch von anderswo, jedenfalls aus Nordrussland. Wosnessenski hatte ihn in der Reiterschwadron des Genossen Offizerow kennengelernt, eines linken Revolutionärs mit anarchistischen Neigungen. Diese Schwadron führte in Südrussland einen Partisanenkrieg. »Gegen wen?«, fragte ich. »Generell gegen sämtliche Streitkräfte, die unrechtmäßig die Macht an sich zu reißen suchten«, antwortete Wosnessenski mit unerwarteter Festigkeit. Soweit ich begriff, verfolgte der Genosse Offizerow kein bestimmtes politisches Ziel. Es war einer jener Abenteurer reinsten Wassers, wie die Geschichte jeder Revolution und jedes Bürgerkriegs sie kennt. Die Stärke seiner Schwadron war bald größer, bald geringer, je nach den Umständen, den größeren oder geringeren Schwierigkeiten, der Jahreszeit und einer
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