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Phantom des Alexander Wolf

Phantom des Alexander Wolf

Titel: Phantom des Alexander Wolf
Autoren: G Gasdanow
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verwundet worden war, äußerst merkwürdig vor. Der Doktor sagte später, die Wunde stamme von einer Pistolenkugel, der Schuss sei aus geringer Entfernung abgegeben worden und Wolf habe unbedingt sehen müssen, wer auf ihn schoss. Vor allem hatte es keinen Kampf gegeben, ringsum war niemand; nur lag nicht weit von der Stelle, wo sie Wolf fanden, die Leiche einer noch gesattelten schwarzen Stute. Wosnessenski nahm an, auf Wolf habe offenbar der Mann geschossen, dem dieses Pferd gehörte, und er sei dann auch auf Wolfs so unerklärlich verschwundenem Pferd davongeritten. Er fügte hinzu, wären sie, Wosnessenski und seine Gefährten, nicht zu spät gekommen, hätten sie keine Kugeln gespart, um den Kameraden zu rächen. Mir fiel der glutheiße Windstoß ein, der mir das ferne Getrappel mehrerer Pferde zutrug – jenes Geräusch, das mich bewog, sogleich davonzureiten.
    »Schließlich und endlich«, sagte Wosnessenski mit einemmal, »vielleicht hat dieser Mann einfach sein Leben verteidigt, dann wäre auch er nicht zu beschuldigen. Ich schlage Ihnen vor, aus diesem Anlass auf seine Gesundheit anzustoßen. Sie müssen trinken, irgendwie sehen Sie sehr grüblerisch drein.«
    Ich nickte schweigend. Eine tiefe Frauenstimme sang währenddessen vom Grammophon:
    Nichts braucht es, gar nichts,
Weder spätes Bedauern…
    Es war schon nach Mitternacht, in der Luft lag kühler Champagnerduft, durchzogen von Parfümwölkchen; außerdem roch es nach Gänsebraten und Bratäpfeln. Von der Straße klang gedämpftes Automobilhupen herein, hinter der Vitrine des Restaurants, nur durch eine Scheibe von uns getrennt, begann die Winternacht mit dem bleichen und kalten Laternenlicht, das sich im nassen Pariser Straßenpflaster spiegelte. Und ich sah vor mir, in unsagbar trauriger Deutlichkeit, den heißen Sommertag, den rissigen schwarzgrauen Weg, der sich langsam, wie im Schlaf, zwischen den Wäldchen dahinwand, und den reglosen Leib Wolfs, der auf der glühenden Erde lag nach seinem tödlichen Sturz.
    Wosnessenski überführte ihn in ein kleines, über dem Dnepr gelegenes weißgrünes Städtchen – weiß von der Farbe der Häuser, grün von den Bäumen – und brachte ihn im Krankenhaus unter. Der Doktor sagte Wosnessenski, Wolf habe nur noch ein paar Stunden zu leben. Aber drei Wochen später verließ er das Krankenhaus, mit eingefallenen Wangen und dichten Bartstoppeln im Gesicht, wodurch er sich selbst nicht mehr ähnlich sah. Wosnessenski holte ihn ab, zusammen mit Marina, der er am Tag nach seiner Ankunft in dem Städtchen begegnet war. Sie hatte ein leichtes weißes Kleid getragen; an ihren braunen Handgelenken klapperten Armreifen. Zwei Jahre davor hatte sie ihre Familie verlassen und reiste seither durch Südrussland, bald verdiente sie sich mit Wahrsagerei, bald mit Gesang ihren Unterhalt. Wosnessenski glaubte fest daran, dass sie von solchen Einkünften lebte; nach dem, wie er sie beschrieb, scheint mir, dass sie sich um ihre Verpflegung wohl kaum größere Sorgen machen musste. Sie war damals siebzehn oder achtzehn. Sobald Wosnessenski von ihr sprach, veränderte sich sogar seine Stimme, und ich nehme an, wenn er nicht so betrunken gewesen wäre, hätte er mir bestimmt nicht von einigen ihrer absolut nicht in Worte zu fassenden und tatsächlich seltenen Eigenschaften erzählt, von denen nur Menschen wissen konnten, die nicht nur einmal den unwiderstehlichen heißen Reiz ihrer Nähe erlebt hatten. Er wohnte mit Marina in einer kleineren Villa; zwei Häuser weiter quartierte sich Wolf ein, der noch zu schwach war, um das frühere Partisanendasein wieder aufzunehmen. In Wosnessenskis Haus stand ein Flügel. Wolf besuchte seinen Kameraden am nächsten Tag in Zivil, rasiert und sauber wie immer, sie dinierten zusammen, dann setzte er sich an den Flügel und begleitete Marina, die ihre Lieder sang.
    Einige Zeit später ritt Wosnessenski für ein paar Tage zu Offizerow; als er zurückkehrte, war Marina nicht da. Er ging zu Wolf – und sie öffnete ihm die Tür. Wolf war an diesem Tag abwesend. Sie schaute Wosnessenski ohne jede Verlegenheit an, und mit ungezähmter, unverblümter Schlichtheit sagte sie zu ihm, dass sie jetzt nicht mehr ihn liebe, sie liebe Sascha. In diesem Augenblick, sagte Wosnessenski, habe sie ausgesehen wie Carmen.
    »Ich war ein harter Mann«, sagte er, »vor meinen Augen fielen meine Kameraden, ich setzte selbst oft mein Leben aufs Spiel, und alles schüttelte ich ab wie die Gans das Wasser. Aber an jenem Tag
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