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Phantom des Alexander Wolf

Phantom des Alexander Wolf

Titel: Phantom des Alexander Wolf
Autoren: G Gasdanow
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Sascha Wolf »I’ll Come Tomorrow« schreiben können? Der Verfasser dieses Buches konnte so nicht sein. Ich wusste, dass er unzweifelhaft ein kluger, äußerst gebildeter Mann war, für den Kultur nichts Zufälliges hatte; außerdem musste er solch einem netten und unbekümmerten Zechbruder wie Wosnessenski, überhaupt allen Menschen dieser Kategorie, innerlich fremd sein. Nur schwer konnte ich mir vorstellen, wie ein Mensch, der mit psychologischen Übergängen und Nuancen bestens vertraut ist und sie geschickt als Grundzug seiner Prosa einsetzt, beispielsweise ein deutsches Kolonistenmädchen fesselt. Völlig unwahrscheinlich war das natürlich nicht, zumal es vor vielen Jahren geschehen war, dennoch widersprach es nun eindeutig einer normalen Vorstellung vom Verfasser des Buches »I’ll Come Tomorrow«. Ob er Engländer war oder Russe, hatte meiner Ansicht nach ebenfalls keine Bedeutung. Vor allem hätte ich gerne gewusst – einmal angenommen, dass Wosnessenskis Erzählung im großen und ganzen zutraf, woran ich kaum zweifelte –, wie Sascha Wolf, der Abenteurer und Partisan, sich in Alexander Wolf verwandelt hatte, den Verfasser eines solchen Buches. Das ging in meiner Phantasie nur mühsam zusammen: dieser Reiter auf dem weißen Hengst, der seinem Tod entgegengaloppiert, dazu einem solchen Tod, durch eine Pistolenkugel während des Ritts, und der Verfasser des Erzählbandes, der ein Zitat von Edgar Allan Poe als Motto wählt. ›Früher oder später‹, dachte ich, ›werde ich es erfahren, und vielleicht gelingt es mir, die Geschichte dieser menschlichen Existenz von Anfang bis Ende zu verfolgen, unter jenem zwiefachen Aspekt, der mich besonders interessiert.‹ Das mochte eintreffen oder auch nicht; jedenfalls ließ sich davon nur in der Zukunft sprechen, und ich konnte mir keineswegs vorstellen, unter welchen Umständen ich es erfahren würde, falls mir überhaupt beschieden war, es je zu erfahren. Mich zog es unwillkürlich zu diesem Menschen hin; neben den Gründen, die offenkundig waren und wohl ausreichten, um mein Interesse an ihm zu erklären, gab es noch einen weiteren, der nicht weniger wichtig war und diesmal mit meinem persönlichen Schicksal zu tun hatte. Als ich zum erstenmal daran dachte, erschien mir dieser Grund jedoch fast absurd. Es war so etwas wie eine Begierde nach Rechtfertigung oder eine Suche nach Mitgefühl, und ich kam mir allmählich vor wie jemand, der zu einer bestimmten Strafe verurteilt ist und nun automatisch die Gesellschaft von Menschen sucht, die ein ebensolches Los zu tragen haben wie er. Anders gesagt interessierte mich das Schicksal Alexander Wolfs auch deswegen, weil ich selbst mein Leben lang unter einer unüberwindlichen und äußerst hartnäckigen Spaltung gelitten habe, gegen die ich vergeblich anzukämpfen suchte und die mir die besten Stunden meines Daseins vergällt hat. Vielleicht war die vermutete Zwiegesichtigkeit Alexander Wolfs ja nur Einbildung, und alles, was mir an meiner Vorstellung von ihm widersprüchlich vorkam, waren nur unterschiedliche Elemente der seelischen Harmonie, die den Verfasser von »I’ll Come Tomorrow« auszeichnete. Doch wenn dem so war, wollte ich umso mehr begreifen, auf welche Weise es ihm gelungen war, ein derart glückliches Ergebnis zu erzielen und da zu reüssieren, wo ich schon so lange und so beständig einen Misserfolg nach dem anderen erlebte.
    Die Geschichte dieser Misserfolge war mir sehr wohl bewusst, schon seit der Zeit, als das Problem meiner Persönlichkeitsspaltung sich noch ganz harmlos darstellte und keinesfalls auf die katastrophalen Folgen hinzudeuten schien, zu denen sie später führen sollte. Es begann damit, dass mich zwei gegensätzliche Dinge gleichermaßen anzogen: einerseits die Kunst- und Kulturgeschichte, die Lektüre, der ich sehr viel Zeit widmete, dazu eine Neigung zu abstrakten Problemen; andererseits die ebenso maßlose Liebe zum Sport und zu allem, was das rein Körperliche, die Muskeln und Triebe betraf. Fast hätte ich mir das Herz geschädigt durch Hanteln, die zu schwer für mich waren, ich verbrachte bald mein halbes Leben auf Sportplätzen, nahm an vielen Wettkämpfen teil, und bis in die allerjüngste Zeit zog ich ein Fußballspiel jedem Theaterabend vor. Ich bewahre höchst unangenehme Erinnerungen an grausame Schlägereien, die für meine Jugendzeit typisch waren und überhaupt nichts mit Sport zu tun hatten. Das alles ist natürlich längst vorüber; zwei Narben am Kopf sind mir
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