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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht
Autoren: Brigitte Riebe
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holte ihr Pferd aus dem Stall, das schon längst die vollbepackten Satteltaschen trug. Ihr Gang war leicht und behände; in den vergangenen Monaten hatte sie all das lästige Gewicht wieder verloren, das sie zur fetten Matrone gemacht hatte. Sie trank nicht mehr; im Gegenteil, wenn sie Wein oder Gebranntes nur roch, drehte sich ihr vor Ekel bereits der Magen um. Sie war bei klarem Verstand. Und entschlossen wie seit Langem nicht mehr.
    Sie drehte sich um und schaute zum Haus zurück, das wie fast alle ringsumher das schwarze Pestkreuz trug. Jans Leiche lag darin, furchtbar entstellt. Mit Schaum vor dem Mund hatte er den letzten Atemzug getan. Und die ihrer Schwiegertochter Veronika dazu, die heute Nacht qualvoll gestorben war. Auch Johannes war tot; die Nachricht von seinem überraschenden Ende im Kloster hatte sie gestern erreicht. Sie trauerte um ihn, aber es war kein frischer Schmerz. Sie hatte ihn schon vor langer, langer Zeit an Gott verloren.
    Rutger dagegen war noch am Leben, weil ihn vor Ausbruch der Seuche ein großes Tuchgeschäft nach Brügge geführt hatte, ihre geliebte Heimatstadt, in die sie nun endlich zurückkehren würde, um ein neues Leben zu beginnen. Und sein Kind, die kleine Elisabeth, der bei der Geburt niemand mehr als ein paar Monate Überleben prophezeit hatte, schlief wohlbehütet in der großen Tasche, die sie am Sattel festgeschnürt hatte.
    Sie führte das Pferd aus dem nunmehr verlassenen Innenhof und band es ein Stück weiter an einem Baum fest. Es war früh am Morgen; wenn sie sich beeilte, konnte sie ihr erstes Tagesziel noch vor dem Abend erreichen. Langsam ging sie zurück. Ihr Blick fiel auf all die Strohballen, die sie nach draußen geschleppt und an den Mauern entlang aufgeschichtet hatte. Der Rücken stach ihr noch jetzt vom vielen Tragen und Bücken.
    »Wie eine Magd«, sagte sie leise. »Eine Dienstbotin, die man herumkommandieren kann. Aber heute zum letzten Mal.«
    Noch einmal betrat sie die Küche, entzündete einen Span, trat mit ihm in der Hand wieder nach draußen. Sie schloss die Tür ab. Eine sorgsame Hausfrau war sie immer gewesen.
    Dann steckte sie den größten Ballen an. Er war trocken, bot den Flammen gute Nahrung.
    »Leb wohl, mein Jan«, sagte sie leise und lauschte, ob die Kleine nicht doch vorzeitig wach geworden war. »Meine Liebe ist mit dir gestorben. Und sei ganz unbesorgt: Satan wartet sicherlich bereits auf dich!«
    Alles war ruhig. Ihre Züge entspannten sich.
    Das Feuer züngelte, leckte an den Wänden. Bald würde das ganze Haus brennen.
    Bela van der Hülst warf den Kopf zurück und lachte.
    Dann ging sie zu ihrem Pferd, setzte auf und gab ihm die Sporen.
     
    Sie hatten Johannes drei Tage aufgebahrt, um ihn schließend in aller Stille zu Grabe zu tragen. Jeder der Beteiligten hatte einen Eid auf die Heilige Schrift schwören müssen, niemals ein Sterbenswort von dem verlauten zu lassen, was in jener stürmischen Dezembernacht im Kloster vor sich gegangen war.
    Ein Blick in das Gesicht de Bercks genügte, um sich auszumalen, was passieren würde, wagte einer, dieses Versprechen zu brechen. Er war sehr schweigsam geworden, mager und bleich nach seiner überraschenden Genesung, ganz für sich selbst.
    Keiner wagte, ihm einige Fragen zu stellen. Zum Beispiel, warum er darauf bestanden hatte, den Leichnam seines einstigen Schülers drei Tage in dem Linnen zu belassen, das nach der Überlieferung aus dem Heiligen Land stammen sollte.
    Natürlich hatte de Berck gute Gründe dafür. Das ganze Reich ächzte unter den Klauen der Seuche, Geißlerheere zogen noch immer im Land herum, Juden wurden erschlagen und verbrannt.
    Und es gab jede Menge gefährlicher Sektierer, die sich im Besitz der einzig seligmachenden Wahrheit wähnten.
    »Du musst Geduld haben mit deinen Kindern, o Herr«, betete er. »Wir sind erschrocken, entsetzt, voller Angst. Wenn dies erst einmal vorbei und überstanden ist, werden wir Wunder brauchen. Um langsam zu lernen, dass du, Allmächtiger, diese herrliche Welt zu deinem Lob und Preis für uns erschaffen hast. Dieses Tuch hier könnte eines davon sein. Ein Hilfsmittel, bevor wir endlich weit genug sind, um schließlich zu begreifen, dass du unfassbar bist, gestaltlos, dreifaltig - nur Geist, nur Licht, nur Liebe.«
    Er schlug es auf, allein in seiner Zelle, bevor er es wieder im Reliquiar in der Krypta verschließen würde. Später würde man es außer Landes bringen. An einen sicheren Ort, wo es erst einmal in Vergessenheit geraten
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