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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht
Autoren: Brigitte Riebe
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Ritze im Gitter das bleiche Gesicht einer Begine erschien.
    »Ich will zu Regina Brant!«
    »Wir dürfen niemanden einlassen. Habt Ihr das Kreuz nicht gesehen? Außerdem ist unsere Meisterin heute Nacht verstorben - der Herr sei ihrer Seele gnädig!«
    »Ich muss aber zu ihr, tot oder lebendig! Ich bin ihr Sohn. Ich habe ein Anrecht darauf.«
    »Man hat sie bereits abgeholt. Sie wird dorthin gebracht, wo alle Pesttoten die letzte Ruhe finden. Wenn Ihr Euch beeilt, könnt Ihr den Karren vielleicht noch einholen.«
    Der Spalt schloss sich wieder, ließ ihn in einem Taumel widersprüchlichster Gefühle zurück.
    Sie war tot - tot! Abermals hatte sie sich ihm hinterlistig entzogen, bevor er ihr entgegenschreien konnte, was er wusste. Was er seit jeher geahnt hatte, lange vor Ursulas gemeiner Entdeckung. Brüllen hätte er wollen vor Wut, losjaulen vor Trauer wie ein grauer, gefährlicher Wolf, der schon mehr als einmal furchtlos seine Beute gerissen hatte.
    Ein Wolf freilich, der alles verloren hatte - seine Liebste, seine Zukunft, seinen Beruf, seine Schwester, seine Mutter.
    Die Freude an der Rache.
    Und binnen kurzem nun auch noch das Leben. Der Tod durch die Pest kam für ihn nicht infrage. Einer, der sich einst den Namen Wulfing gegeben hatte, bestimmte selber über sein Ende.
    Den Strick dafür trug er bereits in der Tasche. Als er nach dem geeigneten Baum Ausschau halten wollte, wusste er auf einmal, was er stattdessen zu tun hatte.
    Unwillkürlich hatte es ihn zum Fluss gezogen, der reißend an die Böschung schlug. Es brauchte nicht allzu viel Mut, sich einfach hineinfallen zu lassen, damit endlich alles vorbei war.
    Guntram tat es, nach kurzem Zögern, und verschwand sofort in den gurgelnden grauen Fluten.
     
    Dies war die Nacht, auf die Johannes so lange gewartet hatte. Und seine Jünger mit ihm. Außer den Eingeweihten befanden sich nur noch wenige Mönche im Minoritenkloster, bis auf eine Handvoll, die noch halbwegs zur Krankenpflege in der Lage waren, alle so siech und elend, dass von ihnen keine Gefahr zu erwarten war. Selbst Bruno de Berck lag schwer von der Pest befallen zwischen Leben und Tod. Seit Tagen kämpfte er gegen die Seuche, kein leiser, stiller Dulder, sondern ein fast schon wütender Krieger, der nicht bereit schien, die Waffen zu strecken. Nur einmal war sein Kampfgeist erlahmt - als man ihm die Nachricht von Reginas schnellem Ende überbracht hatte. Er hatte sich auf seiner schmalen Pritsche zur Seite gedreht, die Wand angestarrt und war jäh verstummt. Sein Fieber stieg, der Atem wurde rasselnd, dann jedoch kehrte sein innerer Widerstand erneut zurück.
    »Ich möchte noch nicht sterben, Allmächtiger.« Seine rissigen Lippen bewegten sich stockend. »Nicht, bevor es mir ein Stück weit gelungen ist, hier auf Erden dein kommendes Reich zu verkündigen. Und den Menschen über deine Liebe die Augen zu öffnen. Aber nicht mein, sondern dein Wille geschehe.«
    Er war der Einzige, der ihnen noch in die Quere kommen konnte. Allein sein Zustand hinderte ihn daran. Johannes hatte sich mit eigenen Augen davon überzeugt, bis ihn die innere Unruhe aus der engen, fäulniserfüllten Zelle hinausgetrieben hatte, dem verwaisten Innenhof zu, wo das Kreuz bereits auf ihn wartete.
    Fiebrige Erregung erfüllte auch die anderen, die, die mit ihm überzeugt waren, Gott erwarte sein Opfer. Warum sollte er sonst die Menschheit mit der Pest schlagen? Es wurde Zeit für einen zweiten Erlöser, der bereit war, die Schuld auf sich zu nehmen und durch seinen Tod den vielen anderen Erlösung zu bringen.
    Das Lamm, das sein Blut vergießen würde - Johannes wusste, dass er der Auserwählte war.
    Der Wind pfiff, und mehrmals waren schon die Hochwasserglocken zu hören gewesen. Eine stürmische Dezembernacht, in der viele keinen Schlaf finden würden. Mittlerweile starben täglich hundert Menschen in Köln an der Pest, manchmal auch zweihundert, und ein Ende der Seuche war nirgendwo abzusehen. In Deutz, Andernach, Bonn, Koblenz, Trier, überall wütete der Schwarze Tod, die schlimmste Geißel, die der Allmächtige seit Langem gesandt hatte.
    Johannes spürte keine Angst. Er war bereit, alle Stationen des Kreuzweges Jesu nachzuvollziehen, nicht nur im Geiste, wie all die vielen Male zuvor, sondern im Fleisch. Dieses Mal war er nicht einer von vierzehn, der die Last des heiligen Holzes auf seinen Schultern spüren wurde. Ihm allein fiel die Auszeichnung zu, die Gnade der Passion am eigenen Leib zu erleben.
    Er fiel auf
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