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Leichentuch: Band 2 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)

Leichentuch: Band 2 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)

Titel: Leichentuch: Band 2 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)
Autoren: Ralph G. Kretschmann
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1. Kapitel
    Der Gestank, der in der Luft lag, erinnerte mich an den Beginn dieses Abenteuers, vor gar nicht so langer Zeit, in einer Stadt im Norden, in der die Pest grassiert hatte. Doch hier war es nicht die Pest, die ihren giftigen Atem in der Abendluft verströmte. Vor dem sich verdunkelnden Himmel zeichnete sich ein Wald von aufragenden Pfählen ab, die groteske Formen hatten. Wir mussten uns unseren Weg hindurch bahnen, obwohl wir um diesen grausigen Ort lieber einen großen Bogen geschlagen hätten. Es gab keinen anderen Weg, der uns dorthin geführt hätte, wohin wir wollten.
    Ich lenkte mein widerstrebendes Pferd durch diesen grausigen Wald aus gepfählten Leibern. Hunderte, vielleicht tausende von verwesenden Kadavern säumten die Straße, aufgespießt auf Pfosten und Pfähle, Kadaver in allen Stadien der Verwesung. Wolken von Fliegen summten und erfüllten die Luft mit einem teuflischen Geräusch, das vom Krächzen der Raben unterbrochen wurde. Der Gestank von verwesendem Fleisch drang in unsere Nasen und ich musste mich beherrschen, um mich nicht zu übergeben.
    Ich hatte diesen Gestank schon oft gerochen, wenn nach einer Schlacht die Toten auf dem Feld der Ehre zerfielen, aber dies hier war etwas anderes. Es war vor allem anderen die unnatürliche Ordnung, die mich erschreckte. Auf dem Schlachtfeld liegen die Gefallen dort, wo der Tod sie ereilt hat, wo das Schwert oder die Kugel ihr Leben beendete. Hier aber waren die Leichen ordentlich aufgespießt, als ob sie planvoll geopfert worden waren. Sicher, ich wusste, dass dem nicht so war, aber ich konnte mich dieses Gefühls nicht erwehren.
    Und ich vermochte nicht, den Blick abzuwenden. Wie unter Zwang musterte ich die Kadaver, die auf den Pfählen steckten. Es schienen ausschließlich männliche Leichen zu sein. Einige waren schon so verwest, dass sie nur noch aus Knochen zu bestehen schienen und tief an den Pfosten heruntergesunken waren. Was alle aber gemein hatten war ihre durchweg orientalisch anmutende Kleidung. Einige trugen noch immer ihre Turbane und weiten Pluderhosen, zerrissen, zerfetzt und von geronnenem Blut getränkt.
    Ich warf einen Blick über die Schulter. Hinter mir ritt meine Begleiterin, obwohl genau genommen ich der Begleiter war. Ihr Schicksal und das meine waren miteinander auf unerklärliche Weise verbunden. Rebekka ritt mit versteinerter Miene zwischen den Leichenpfählen hindurch, bemüht, Haltung zu bewahren. Auf den ersten Blick mochte man glauben, unsere kleine Reisegruppe bestände nur aus Männern, denn Rebekka trug enge lederne Hosen und einen weiten Mantel aus schwarzem Stoff, der ihre reizvollen Rundungen vor den Blicken anderer verbarg. Hinter ihr ritten unsere drei Begleiter, denen man den Ekel vor dem, was sich unseren Augen und Nasen bot, deutlich ansah. Keiner sprach ein Wort.
    Wir hatten noch einige Meilen vor uns und ich fragte mich, wie weit sich dieser Wald aus Toten noch erstrecken mochte. Irgendwo, irgendwann musste dieses Grauen doch ein Ende haben. Der schmale Weg, den wir nehmen mussten, wand sich zwischen den zerklüfteten Hängen entlang. Kein Baum stand mehr auf diesen Berghängen. Alle waren abgeholzt worden, um als Pfähle zu dienen, auf denen die Leichen aufgespießt worden waren und nur die Stümpfe der abgeschlagenen Bäume hielten sich wie hölzerne Krallen im farnbedeckten Boden fest. Die Sonne verschwand hinter den Bergen und tauchten das Grauen in eine gnädige Dunkelheit, die den Horror vor unseren Augen verbarg.
    Die Dunkelheit erschwerte das Vorwärtskommen, aber niemand verlangte in dieser Umgebung, ein Lager für die Nacht zu errichten. Stumm ritten wir weiter, versuchten den Gestank zu ignorieren, so gut es eben ging. Es ging auf Mitternacht zu, als sich die enge Schlucht in ein weites Tal öffnete. Der Mond stand tief am Nachthimmel und warf ein fahles Licht auf unseren Weg.
    Ich zügelte mein Reittier und drehte mich zu meinen Mitreisenden um. Rebekka hatte ein Tuch vor ihr Gesicht gezogen und ich konnte nur ihre dunklen Augen erkennen. Hinter ihr ritt mein Diener Heinrich, der mich schon in meinen Militärzeiten begleitet hatte, ein kampferprobter Veteran. Ihm folgte Rascott von den britischen Inseln. Er schwieg sich beharrlich darüber aus, woher er genau stammte und ich wusste noch immer nicht, ob Rascott sein Vor- oder Nachname war. Den Schluss unserer Gruppe bildete der wohl bekannteste Mann in unserer Gruppe. Wir nannten ihn meist Michael oder Michel, nach seiner französischen
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