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Pfad der Seelen

Pfad der Seelen

Titel: Pfad der Seelen
Autoren: Anna Kendall
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fort zum Fluss und stellte fest, dass ich unter dem gleichen ausladenden Baum stand, unter dem ich mit Gevatterin Humphries im Totenland gesessen hatte.
    Unter dem Baum stand das Mädchen aus dem Hof der Herberge und starrte in die fleckigen Schatten auf dem Wasser. Das Mädchen mit den langen schwarzen Zöpfen. » Du bist zurück«, sagte sie, und ich erstarrte.
    » Was hast du den ganzen Tag getrieben?«, fügte sie hinzu. » Ich habe dich auf dem Fest nicht gesehen.«
    Sie hatte nach mir Ausschau gehalten. Sie hatte nach mir Ausschau gehalten. Weshalb? Mir fiel nichts ein, was ich hätte sagen können, also stand ich dort, wortlos wie der Trottel, der ich nun einmal war.
    » Oh!«, rief sie plötzlich. » Was ist mit deiner Hand passiert?«
    Die Verletzung, die ich mir selbst mit dem spitzen Stein zugefügt hatte. Es hatte ein bisschen geblutet, das Blut war getrocknet; um die zornige Wunde herum war meine Haut aufgedunsen und rot und wurde nun violett. Töricht verdeckte ich sie mit der anderen Hand und drückte beide Hände fest vor mir aneinander. Da erkannte ich, dass es genau die gleiche Geste war, die meine Tante ausgeführt hatte, und ich machte ein wildes, finsteres Gesicht.
    Das Mädchen bemerkte es nicht. Sie trat auf mich zu, nahm meine verschränkten Hände und zog sie auseinander. Sie hatte die schwarzen Spitzenhandschuhe abgelegt, die sie am Morgen getragen hatte, und die langen weißen Ärmel ihres Kittels rutschten ihr nach hinten über die Arme.
    » Hast du dich an einem … oh!« Sofort schob sie die linke Hand hinter den Rücken. Aber ich hatte es gesehen.
    » Sag es niemandem«, flüsterte sie leise, kindlich, und die Angst in ihren Augen löste mir die Zunge, wie es nichts anderes vermocht hatte. Angst konnte ich verstehen.
    » Ich sage es nicht«, versicherte ich. » Ich verrate es niemandem, niemals. Aber du solltest besser aufpassen. Nicht, dass es eine Rolle spielt – das kann ich dir versichern! Für mich nicht! Es hat nichts zu bedeuten!«
    Sie nickte unglücklich, in ihren Augen standen Tränen. Die Augen waren tiefbraun. Braune Augen, schwarzes Haar – sie hätte eintönig aussehen müssen, wie ein Gemälde ohne Farben, aber das tat sie nicht. In meinen Augen strahlte sie ganz hell, ein hübsches Mädchen mit einem einzigen kleinen Makel, der nichts zu bedeuten hatte. Oder, für einige, alles.
    Ich plapperte weiter und versuchte Worte zu finden, die sie beruhigen würden. » Nur die Abergläubischen behaupten, dass es etwas zu bedeuten hat. Nur die Unwissenden. Sogar Königin Caroline hat so etwas, habe ich gehört! Und sie ist die Königin!«
    » Die Königin ist eine Hure«, sagte das Mädchen rundheraus, und ich blinzelte. Dieses Mädchen sagte ohne Einschränkungen, was sie dachte. Sir sprach aus, was sie dachte, und machte sich nicht groß Mühe, den kleinen sechsten Finger an ihrer linken Hand zu verbergen, den gleichen Makel, den Gerüchten zufolge auch Königin Caroline haben sollte. Das Kennzeichen einer Hexe.
    » Pass besser auf!«, schoss es aus mir heraus, und ich blickte mich um, wer sonst noch gehört haben könnte, dass sie die Königin eine Hure genannt hatte. Niemand war in der Nähe. » Ihr müsst besser achtgeben, meine Lady!«
    » Ich bin keine Lady«, sagte sie und lächelte mich auf die gleiche Art an wie die Gevatterin Humphries, als ich diese eine Lady genannt hatte. Reagierten wohl alle Frauen auf die gleiche amüsierte und geschmeichelte Weise, wenn ich ihnen damit die Ehre erwies? Aber ich wollte nicht allen Frauen die Ehre erweisen. Nur dieser einen, die hier stand, meine verletzte Hand nach wie vor fest in ihren kleinen, weißen Fingern. Sie sagte: » Mein Name ist Catherine Starling. Cat.«
    » Ich bin Roger Kilbourne.«
    » Mein Vater hat einen Bauernhof in Garraghan.«
    Ich wusste nicht, was oder wo Garraghan war, und ich hatte nichts, was ich ihr über meine Tante oder Hartah mitteilen wollte. Aber ich musste gar nichts sagen. Cat warf ihre schwarzen Zöpfe zurück und fuhr fort: » Ich glaube sowieso nicht an Hexen!«
    » Du musst aufpassen, zu wem du so etwas sagst.«
    » Ich weiß. Ich passe schon auf. Dir kann ich vertrauen, das habe ich heute Morgen gleich erkannt. Du glaubst auch nicht an Hexen, oder, Roger? Dieser ganze Unsinn … Leute mit Flüchen belegen und das Vieh krank machen und mit den Toten sprechen! Pfui!«
    Ich hielt den Mund.
    Sie holte ihre linke Hand hinter dem Rücken hervor und legte sie auf die rechte, die immer noch meine
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