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Pfad der Seelen

Pfad der Seelen

Titel: Pfad der Seelen
Autoren: Anna Kendall
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nicht. Ich konnte ihn jedes Mal riechen, wenn der Wind drehte.
    Im Lauf der nächsten Tage wurden die Dörfer auf dem Weg nach Süden immer seltener, und daher schwanden die Aussichten auf weitere Erntefeste. Das Land wurde wilder, weniger fruchtbar. Abgeerntete Getreidefelder wichen Weiden für Schafe und dann für Ziegen, als der Boden felsiger und noch steiler wurde. Nach etlichen Tagen in dem langsamen, quietschenden Wagen wandten wir uns nach Osten. Zum letzten Mal übernachteten wir in einer Herberge, einem rauen Ort voller rauer Männer, die nicht wie Bauern oder Hirten aussahen. Es gab keine Frauen. Hartah zahlte mit seinem letzten Geld für ein winziges Zimmer unter dem Dachvorsprung und ließ Tanta Jo und mich dort zurück.
    » Verriegelt die Tür«, sagte er, » und macht sie nicht auf, wenn ihr nicht sicher seid, dass ich es bin.« Er ging wieder nach unten und kehrte stundenlang nicht zurück. Meine Tante schlief unruhig auf dem durchhängenden Bett. In meine Decke auf dem Boden eingerollt, konnte ich ihre leisen Seufzer hören, ihre Konturen im Sternenlicht zucken sehen, das durch das winzige Fenster hereinfiel. Träumte sie etwas, genauso wie ich?
    Hoffentlich wird es eine Nacht ohne Träume.
    Ich träumte nicht, und am nächsten Morgen war Hartah gut gelaunt. » Ein guter Ort, um interessante Dinge zu erfahren!«
    Tante Jo blickte ihn an und wandte sich dann ab.
    Anschließend kamen keine Gasthäuser mehr, und wir schliefen in oder unter dem Wagen und ernährten uns von den Vorräten, die Hartah in Stonegreen gekauft hatte. Seine gute Laune ließ nach und wich der ruhelosen Anspannung, die ich nicht verstehen konnte. Aber er schlug weder mich noch Tante Jo. Er nahm kaum Notiz von uns, bis er mich an einem Abend am Lagerfeuer, das wir neben einem Felssturz errichtet hatten, der kaum den kalten Wind abhielt, unmittelbar anblickte. Seine Augen glitzerten rot und golden, als sich die Flammen in ihnen spiegelten, wie bei einem wilden Tier. » Wie würde es dir gefallen, reich zu sein, Roger?«
    Aus irgendeinem Grund dachte ich sofort an Cat Starling, zu Hause auf ihrem Bauernhof. An ihre sauberen schwarzen Zöpfe, ihren sorgfältig gebügelten Unterrock. Ich antwortete nicht.
    » Habe ich dir etwa Angst gemacht?«, spottete Hartah. » Umso besser. Vor uns allen liegt eine beängstigende Aufgabe, und wir werden alle einen Anteil an der Beute bekommen. Das ist nur gerecht. Du bist doch sehr für Gerechtigkeit, nicht wahr, Roger?«
    Alles, was ich sagen konnte, mochte ihn anstacheln. Ich starrte ins Feuer. Hartah nahm noch einen kräftigen Schluck von dem Branntwein, den er in Stonegreen gekauft hatte.
    » Das ist gut, halt den Mund, Junge. Mundhalten ist genau das, was wir brauchen, merk dir das. Aber du wirst schon den Mund halten oder mit uns anderen baumeln, hä? Wirst schon sehen. Ich weiß es.«
    Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach, und es interessierte mich auch nicht. Solange er mich in Ruhe ließ, solange seine Fäuste sich um den Branntwein schlossen und nicht um mich. Als er die Flasche wieder hob, schlüpfte ich unter meine Decke und wollte schon einschlafen.
    Aber dann erhaschte ich einen Blick auf Tante Jos Gesicht, ihre Augen aufgerissen vor Schreck, ihre welken Lippen zu einem stummen Schrei geöffnet.
    Am nächsten Tag konnte ich das Meer im Wind riechen, obwohl ich es noch nicht sehen konnte. Wir verließen die Hauptstraße und kletterten einen schlammigen Pfad zu noch wilderen Hügeln empor, in die sich tiefe Schluchten und Felsstürze eingegraben hatten. Das alte Pferd wankte und mühte sich weiter. Ich glaubte, das arme Tier würde noch auf der Stelle tot umfallen, aber Hartah trieb die Stute trotzdem an. Die Räder des Wagens ächzten, obwohl die Ladung inzwischen allein aus dem Fahrer bestand. Tante Jo und ich gingen hinterher. Unsere ganzen Vorräte waren aufgebraucht bis auf einen halben Laib Brot, und das abgerissene Festzelt hatte Hartah in eine Schlucht geworfen. Als ich es gewagt hatte, ihn nach dem Grund zu fragen, hatte er gelacht und geantwortet: » Reiche Leute brauchen keine so armseligen Unterkünfte!«
    Wir erreichten den Gipfel des Pfades mit einem nach wie vor lebendigen Pferd, das den Wagen in einen dichten Wald aus alten Eichen und windgekrümmten Kiefern zog. Hier war der Geruch des Salzes in der Luft stark. Auf einer Lichtung neben einem flinken Bach an der Hügelflanke stand eine Holzhütte, deren Dach aus Rundhölzern mit Pech abgedichtet war.
    » Hallooooo!«,
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