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Pestmond (German Edition)

Pestmond (German Edition)

Titel: Pestmond (German Edition)
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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weiß nicht, ob es wahr ist. Die Leute reden viel.«
    »Und manchmal sagen sie sogar die Wahrheit«, sagte Hamed. Er streckte die Hand aus. »Darf ich sie sehen?«
    Andrej war nahe daran, das Schwert zu ziehen. Was wollte der alte Mann von ihm?
    »Keine Angst.« In Hameds Stimme schwang sanfter Spott mit. »Ich werde dich schon nicht damit erschlagen.«
    Jeden anderen hätte Andrej ignoriert, doch er war Hamed zu Dank verpflichtet, und aus irgendeinem Grund … mochte er den alten Mann, auch wenn er spürte, dass ihn ein Geheimnis umgab. Aber wer war er, einem anderen vorzuwerfen, ein Geheimnis zu bewahren?
    »Sei vorsichtig!«, sagte er, während er Hamed das Schwert reichte. »Es ist scharf.«
    Hamed nahm es entgegen wie ein Mann, der sehr wohl Erfahrung im Umgang mit Waffen hat, aber ein wenig aus der Übung ist. In seinem Blick las Andrej ehrliche Bewunderung.
    »Wahrlich ein prachtvolles Stück«, sagte er, während seine Fingerspitzen über die rasiermesserscharfe Schneide glitten, gerade fest genug, um einen weißen Abdruck auf der Haut zu hinterlassen, ohne sie aber zu verletzen. »Ich weiß nicht, ob diese Waffe wirklich Sal-a-Hadin gehört hat, aber sie wäre eines Mannes wie ihm würdig gewesen.« Er gab Andrej den Saif zurück. »Ein wunderbares Stück Handwerkskunst, nicht wahr? Ist es nicht eine Schande, dass es oft der Krieg ist, der etwas so Wundervolles hervorbringt?«
    »Es ist eine Waffe«, erwiderte Andrej. »Waffen sind niemals etwas Wundervolles. Sie töten.«
    »Tatsächlich? Und ich dachte, es wären die Menschen, die töten, und nicht ihre Waffen.«
    Andrej legte das Schwert in die Kiste zurück und schloss den Deckel.
    »Du musst hungrig sein«, sagte Hamed. »Ich habe Ayla gebeten, etwas zu essen zu bereiten.«
    »Ayla?«
    »Das Mädchen, das dich geweckt hat. Ich hatte ihr verboten, dich zu stören, aber du weißt ja, wie Kinder sind. Gerade das, was verboten ist, ist besonders interessant.«
    »Ich hoffe, ich habe sie nicht erschreckt.« Andrej schlang sich den zerschlissenen Mantel um die Schultern und registrierte aus den Augenwinkeln, dass Hamed jeder seiner Bewegungen folgte.
    Statt etwas zu erwidern, bückte er sich nun ächzend nach der Öllampe und ging wortlos hinaus. Als Andrej ihm folgte, war er froh, den Mantel angezogen zu haben, denn es war bitterkalt. Sogar in der Dunkelheit sah er seinen eigenen Atem als Dampf vor dem Gesicht aufsteigen.
    Hamed führte ihn in eine andere, ebenso kleine Hütte am gegenüberliegenden Rand des Dorfes. In einem einfachen Steinofen brannte Feuer, das behagliche Wärme und rotes Licht verbreitete. Das bescheidene Mobiliar bestand aus einigen verzierten Truhen, einer schmucklosen offenen Kiste mit Werkzeugen und den obligaten Teppichen und Kissen, die in diesem Teil der Welt als Sitzgelegenheiten dienten. In einem rußgeschwärzten Kessel, der an einem eisernen Dreibein über dem Feuer hing, köchelte eine Suppe, die einen fremdartigen, aber durchaus angenehmen Geruch verströmte. Hamed lud ihn mit einer Geste ein, Platz zu nehmen, und stellte die Öllampe draußen ab, bevor er die Tür schloss. Flüchtig fragte sich Andrej, ob er womöglich damit jemandem ein Zeichen gab.
    »Ich hoffe doch, du hast dich ein wenig erholt«, begann Hamed, nachdem er in einem perfekten Schneidersitz neben ihm Platz genommen hatte. »Zeit genug hattest du ja. Es ist nicht viel, was wir haben, doch wir teilen es gerne mit Fremden.« Er wies mit einer Hand auf den Topf und reichte Andrej mit der anderen eine hölzerne Schale, die dieser gehorsam und mit einem dankbaren Nicken entgegennahm. Doch er machte keine Anstalten, sich zu bedienen, obwohl er so hungrig war, als hätte er seit Tagen nichts gegessen.
    Was genau genommen ja auch der Fall war.
    »Das ist wirklich sehr freundlich von dir, aber ich habe nichts, was ich dir dafür geben könnte«, sagte er.
    »Nun, du könntest zum Beispiel damit aufhören, mich zu beleidigen, indem du mich für das Selbstverständlichste der Welt bezahlen willst«, antwortete Hamed. »Du musst wirklich von sehr weit her kommen, wenn du nicht weißt, dass Gastfreundschaft in diesem Land heilig ist. Und wenn es dich beruhigt: Du kannst durchaus für dein Essen und einen warmen Platz am Feuer bezahlen.«
    »Und womit?«
    »Der einzigen Währung, die überall auf der Welt gilt und immer und gerne genommen wird«, antwortete Hamed mit einem gewichtigen Nicken, aber auch amüsiert funkelnden Augen. »Dem neuesten Klatsch und Tratsch …
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