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Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Titel: Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten
Autoren: Gerhard Roth
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gegenüber neuen Situationen, der Reaktionsschwelle von Verhaltensantworten, deren Intensität, dem Grad der Ablenkbarkeit, der Aufmerksamkeitsspanne (wie lange zum Beispiel jemand konzentriert zuhören oder etwas tun kann) und der Qualität der Grundstimmung (freundlich/unfreundlich, freudig/aggressiv).
    All diese Merkmale zeigen sich nach Thomas und Chess bereits sehr früh. Entsprechend gibt es das »leichte Kind«, das ausgeglichen, anpassungsfähig, eher positiv gestimmt und offen ist und ca. 40 % aller Kinder umfasst, das »schwierige Kind«, das unruhig ist, eine geringe Anpassungsfähigkeit zeigt, emotional instabil und oft negativ gestimmt ist (rund 10 % aller Kinder), und das »langsam auftauende Kind«; das nur zögerlich auf neue Reize antwortet und eher zurückhaltend und verschlossen ist (rund 15 % der Kinder). Der Rest der Kinder (35 %) war in der großen Studie der Autoren nicht eindeutig klassifizierbar.
    Andere bekannte Temperamentforscher wie Buss und Plomin (1984; vgl. auch Buss, 1989, 1991) gehen davon aus, dass sich Temperament aus den drei Merkmalsgruppen Emotionalität , Aktivität und Soziabilität (EAS-Theorie) zusammensetzt. Buss und Plomin nehmen an, dass diese Merkmalsgruppen hochgradig genetisch bedingt und stabil sind und bereits im 1. Lebensjahr sichtbar werden. Für Rothbart (1989), einer weiteren Autorität in der Temperamentforschung, besteht Temperament aus den Grundmerkmalen Reaktivität und Selbstregulation , die beide biologisch verankert sind. Reaktivität wird bestimmt durch die Reaktionsschwelle, die Latenz (d. h. Antwortverzögerung) und Intensität von Verhaltensweisen und das allgemeine physiologische Erregungsniveau. Selbstregulation ist die Fähigkeit zur Veränderung des eigenen Erregungsniveaus in Abhängigkeit von äußeren Reizen und das Aufrechterhalten eines physiologisch-psychischen Gleichgewichts (»Homöostase«).
    Rothbart weist jedoch darauf hin, dass gerade beim Grad der Selbstregulationsfähigkeit neben vegetativ-physiologischen Faktoren auch die Bindungserfahrung eingeht. Allgemein geht Rothbart von sechs Temperament-Dimensionen aus, nämlich (1) Irritierbarkeit und negative Reaktionen, (2) motorische Aktivität, (3) positive Emotionalität und Sozialisierbarkeit, (4) Beruhigbarkeit und Ablenkbarkeit von negativen Emotionen, (5) Furchttendenz und Verhaltenshemmung und (6) willentliche Kontrolle.
    Wie der bekannte deutsche Persönlichkeitsforscher Asendorpf in diesem Zusammenhang bemerkt, ergibt sich bei solchen Klassifizierungen von Temperamentmerkmalen eine deutliche Überlappung mit den oben genannten »big five«-Persönlichkeitsmerkmalen. Es ist in der Tat schwierig, reine, d. h. überwiegend angeborene Temperamentmerkmale von Persönlichkeitsmerkmalen genau zu unterscheiden, da sich beide – darin sind sich alle Forscher einig – sehr früh stabilisieren. Am eindeutigsten gelingt die Unterscheidung noch bei denjenigen Temperamentmerkmalen, die der physiologisch-vegetativen und affektiven Grundausrüstung einer Person entsprechen und deshalb hochgradig genetisch bedingt sind, z. B. allgemeines Erregungsniveau, Reaktionsschnelligkeit, Verhalten und Anpassungsfähigkeit gegenüber neuen Situationen und Schnelligkeit der Informationsverarbeitung. Bei komplexeren Merkmalen wie Offenheit oder Verschlossenheit, positiver oder negativer Emotionalität und Sozialisierbarkeit ergibt sich eine unauflösliche Vermischung zwischen genetischen und entwicklungsbedingten Merkmalen und vorgeburtlich oder frühkindlich wirksamen Umwelteinflüssen, von denen jetzt die Rede sein soll.

Die Bedeutung frühkindlicher Einflüsse und der Bindungserfahrung
     
    Viel ist darüber gestritten worden, welche Bedeutung die ersten Lebensjahre für die Entwicklung der Persönlichkeit tatsächlich haben (vgl. Eliot, 2001). Während einige Psychologen und Pädagogen den frühkindlichen Erfahrungen keine besondere Bedeutung zuschreiben und von einer gleichmäßigen lebenslangen Verformbarkeit des Menschen ausgehen, sind andere der Überzeugung, dass die ersten drei bis fünf Jahre und in geringerem Maße die Pubertät prägend für das spätere Leben einer Person sind. Solche Prägungsperioden sind im Tierreich weit verbreitet, besonders im Bereich der akustischen Kommunikation und des Sexualverhaltens. Auch beim Menschen sind solche Prägungsprozesse vorhanden, z. B. bei der Sprachentwicklung. Ebenso wird vermutet, dass Mutter und Neugeborenes aufeinander geprägt werden.
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