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Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Titel: Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten
Autoren: Gerhard Roth
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diesem ganzen Vorgang wird das Verhalten des Kindes bei Trennung von der Mutter und Wiedervereinigung mit ihr registriert, um festzustellen, wie das Kind den damit verbundenen Stress bewältigt.
    Ainsworth hat aufgrund solcher Untersuchungen drei kindliche Bindungstypen ermittelt. Der erste ist der sicher-gebundene Typ B : Das Kind zeigt seinen Trennungskummer offen, kann aber schnell getröstet werden. Es zeigt eine gute Balance zwischen Nähe zur Mutter (Bindung) und Erkundungsdrang (Exploration der Umgebung). Der zweite Typ ist der unsicher-vermeidende Typ A : Das Kind zeigt wenig Kummer über die Trennung, konzentriert sich auf das Spielen und vermeidet nach Rückkehr der Mutter eher ihre Nähe. Es zeigt weniger eine Tendenz zur Nähe und eher eine Tendenz zur Exploration. Der dritte Typ ist der unsicher-ambivalente Typ C : Das Kind weint heftig bei der Trennung und lässt sich bei der Rückkehr der Mutter kaum beruhigen. Es zeigt eher eine Tendenz zur Nähe (Klammern) als zur Exploration. Aufgrund von Untersuchungen anderer Autoren (Main und Solomon, 1986) kam später noch ein vierter Typ hinzu, der desorganisiert-desorientierte Bindungstyp D : Diese Kinder können auf die Trennung nicht einheitlich reagieren und zeigen Verhaltensauffälligkeiten wie Bewegungsstereotypien, Erstarren und Angst gegenüber einem Elternteil.
    In großen Bindungsstudien zeigte sich, dass ca. 60 % aller untersuchten Kinder dem Typ »sicher-gebunden« angehören, 20 % dem Typ »unsicher-vermeidend«, 12 % dem Typ »ambivalent-unsicher« und der Rest dem Typ »desorganisiert-desorientiert«. Dieser besondere Typ tritt vornehmlich bei Kindern auf, die entweder missbraucht oder misshandelt wurden oder den Verlust eines Elternteils noch nicht verarbeitet haben.
    Wichtig für die Frage nach der Persönlichkeit ist der inzwischen vielfach bestätigte Befund, dass der so ermittelte frühkindliche Bindungstyp mit dem erwachsenen Bindungsverhalten eng korreliert ist, d. h. mit der Weise, wie eine Person kognitiv, emotional und motivational mit den Menschen in ihrer engeren familiären oder beruflichen Umgebung umgeht. Dieses erwachsene Bindungsverhalten wird zum Beispiel mit dem »Adult Attachment Interview (AAI)« erfasst (vgl. Strauß et al., 2002). Hierbei werden die Personen mit Fragen konfrontiert, die sich auf die Erinnerung an frühere Bindungsbeziehungen, den Zugang zu bindungsrelevanten Gedanken und Gefühlen und den Einfluss von Bindungserfahrungen auf ihre eigene Entwicklung beziehen. Dabei geht es um den Inhalt, aber auch um die Kohärenz, Qualität, Quantität, Relevanz und sonstige Art und Weise der Antworten.
    Es ergeben sich dabei folgende Erwachsenen-Bindungstypen: (1) Sicher autonom ( secure ): die Person gibt eine offene, kohärente und konsistente Darstellung ihrer positiven und negativen Bindungserfahrungen. Sie hat leichten Zugang zu diesen Gedächtnisinhalten. (2) Bindungsdistanziert ( dismissing ): die Person liefert nur inkohärente und unvollständige Angaben, zeigt Erinnerungslücken, Abwehr schmerzlicher Erinnerungen und liefert meist positive Erinnerungen ohne Details. (3) Bindungsverstrickt ( preoccupied ): die Person liefert ausufernde, oft von Ärger durchsetzte Darstellungen, so als ob sie einen bestimmten Konflikt und den damit verbundenen Ärger gerade erlebte; sie oszilliert zwischen positiven und negativen Darstellungen und Beurteilungen, ohne sich dessen bewusst zu sein, und zeigt eine allgemeine Verwirrtheit und Vagheit. (4) Unverarbeitetes Trauma ( unresolved trauma ): die Person liefert eine konfuse Darstellung, zeigt häufige Erinnerungsverwechslungen und irrationale Darstellungselemente. Dieser letztere Typ entspricht dem kindlichen Bindungstyp D und tritt entsprechend vornehmlich bei Personen mit unverarbeiteten Verlust- oder Missbrauchserfahrungen auf.
    Wie bereits erwähnt, gibt es einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem kleinkindlichen und dem erwachsenen Bindungstyp, wobei Letzteres auch die Art und Weise einschließt, wie man sich gegenüber den eigenen Kindern bindungsmäßig verhält. Dies ist besonders wichtig für das in letzter Zeit intensiv diskutierte Phänomen des trans- oder intergenerationellen Transfers von Bindungserfahrungen und anderen frühkindlichen Erfahrungen: Eine Person gibt an ihre eigenen Kinder häufig diejenigen Erfahrungen weiter, die sie selbst frühkindlich erfahren hat. Dies ist insbesondere bei Personen mit psychischen Erkrankungen oder schwerer
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