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Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench
Autoren: Boris Akunin
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einem Drittel in der Erde versunken war. Vom Umfang her entsprach sie in etwa einem dicken Schneeball, wie ihn Kinder als Rumpf für einen Schneemann nehmen. Die Oberfläche schillerte in allen Regenbogenfarben – violett, grün, rosa. Dieses Schauspiel war so wunderbar, so unerwartet nach dem langen Umherirren im Dunkel, dass die Lissizyna einen Seufzer ausstieß.
    Neben der Kugel stand eine Lampe. Sie beleuchtete die glitzernde Oberfläche, ließ sie Lichtflecken und Funken sprühen.
    Zwischen der Lampe und der Kugel kauerte ein schwarzer, gebückter Schatten, der mit gleichmäßigen Bewegungen hin und herwippte. Das widerliche Kreischen erscholl genau im Takt dieser Bewegungen.
    Polina Andrejewna machte noch einen kleinen Schritt, doch im selben Augenblick brach das Geräusch unvermittelt ab, und in der eintretenden Stille klang das Tappen ihrer Schuhsohle plötzlich ohrenbetäubend laut.
    Die gebückte Gestalt erstarrte, als würde sie lauschen. Sie machte eine vorsichtige Bewegung, als streiche sie über die Kugel oder als streife sie behutsam etwas ab.
    Was tun? Sollte sie still stehen bleiben, in der Hoffnung, dass alles gut gehen würde, oder Reißaus nehmen?
    Frau Lissizyna stand in einer äußerst unbequemen Position da: Der eine Fuß war vorgestellt und trug ihr ganzes Körpergewicht, der andere stand auf Zehenspitzen.
    Und nun kitzelte es sie auch noch unbändig in der Nase. Das Niesen konnte sie unterdrücken, indem sie einen Finger heftig auf die Nasenwurzel presste, doch einen krampfhaften Atemzug konnte sie nicht zurückhalten.
    Der schwarze Mensch (wenn es denn ein Mensch war) machte eine hastige Bewegung, deren Sinn Polina Andrejewna nicht sogleich erfasste. Erst als der obere, runde Teil der Silhouette plötzlich spitz zulief, verstand sie: Er hatte eine Kapuze über den Kopf gezogen.
    Es hatte keinen Sinn, sich noch zu verstecken. Weglaufen aber wollte Frau Lissizyna nicht.
    Sie ging geradewegs auf den Mönch zu (jetzt konnte man sehen, dass es ein Mönch war), der sich zu voller Größe aufgerichtet hatte; er wich zurück.
    Wenige Schritte vor dem schmalen, schwarzen Schatten blieb Polina Andrejewna stehen – so unheimlich glitzerten die Augen in den Sehschlitzen der Kapuze. Genau so musste Wassilisks Blick funkeln, nicht der des heiligen gerechten Wassilisk, sondern der des schrecklichen Abgesandten der Hölle mit dem Krötenkörper, dem Schlangenschwanz und dem Hahnenkopf. Der todbringende Blick des Ungeheuers, der Steine zerspringen, Blumen verdorren und Menschen tot umfallen lässt.
    »So einer sind Sie also, Alexej Stepanowitsch«, sagte Polina Andrejewna erschauernd.
    Der schwarze Mönch regte sich nicht, und da fuhr sie fort – leise und bedächtig:
    »Ja, Sie sind es, Sie. Es kann niemand anders sein. Zunächst dachte ich an Sergej Nikolajewitsch Ljampe, doch jetzt, während ich allein in der Finsternis durch den Stollen ging, wurde mir alles klar. Das ist häufig so: Wenn die Augen blind sind, sehen Verstand und Seele besser, und sie lassen sich nicht durch Sinnestäuschungen ablenken. Sergej Nikolajewitsch hätte Sie niemals vom Palmenhaus bis zum See schleppen können. Er ist viel zu schwach dazu, seine Kräfte hätten nicht ausgereicht, und es ist ein weiter Weg. Dann wieder ließ mir Galileis Spruch von der Messbarkeit des Unmessbaren, den ich in Ljampes Heft mit den Formeln gesehen hatte, keine Ruhe. Wo hatte ich ihn vorher gehört? Erst jetzt erinnerte ich mich, wo das war. Das stand in Ihrem dritten Brief. Folglich mussten Sie damals schon in Ljampes Laboratorium gewesen sein und einen Blick in sein Heft geworfen haben. Plötzlich passte alles zusammen, und mir wurde alles klar. Nur schade, dass das nicht früher geschah.« Polina Andrejewna wartete, ob der Mönch etwas darauf sagen würde, doch dieser schwieg. »Am ersten Tag fanden Sie die unterhalb der Wasserlinie verborgene Bank, und in Ihrem Brief machten Sie eine Anspielung auf diesen pikanten Umstand und versprachen, am folgenden Tag wirkungsvoll des Rätsels Lösung zu liefern. In der Nacht machten Sie sich auf, den schwarzen Mönch aufzuspüren, und Sie hatten Erfolg. Sie verfolgten den Mystifikator bis zur Heilanstalt, um herauszubekommen, wer sich dahinter verbirgt. Sie steckten Ihre Nase in seine Aufzeichnungen . . . Ich habe keine Ahnung von diesen Formeln, aber Sie kennen sich damit aus. Nicht umsonst hat man Sie auf der Universität zum künftigen Faraday auserkoren. Dort haben Sie etwas über die Höhle und
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