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Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench
Autoren: Boris Akunin
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Gewässern wie unserem friedlichen Sawolshsk: Da herrschen fünf oder zehn Jahre Ruhe und Frieden und verschlafene Reglosigkeit, und plötzlich braust ein Orkan nach dem anderen über uns hinweg, dass sogar die Glockentürme sich zur Erde neigen.
    Der Unglücksbote eilte die weiße Marmortreppe hinauf. Am oberen Treppenabsatz, unter den Gewichten der blinden Themis, hielt er inne, da er nicht sogleich wusste, in welche Richtung er gehen sollte, nach rechts oder nach links, doch dann erblickte er ganz am Ende des Gangs eine Schar von Korrespondenten aus der Hauptstadt sowie zwei Gestalten in schwarzen Kutten, eine große und eine kleine: Bischof Mitrofani und daneben die bebrillte Schwester, die zuvor am Fenster gestanden hatte.
    Mit seinen großen Stiefeln über den hallenden Boden polternd, stürzte der Mönch auf den Bischof zu, wobei er schon von weitem ein Geschrei erhob:
    »Eminenz, er ist bereits hier! Ganz nah! Er verfolgt mich! Riesig und schwarz!«
    Die Journalisten aus Petersburg und Moskau, darunter auch richtige Kapazitäten dieser Profession, die wegen des Aufsehen erregenden Prozesses nach Sawolshsk gekommen waren, starrten den sonderbaren Mönch verwundert an.
    »Wer verfolgt dich? Wer ist schwarz?«, fragte der Bischof. »Sprich deutlich. Wer bist du? Woher kommst du?«
    »Der demütige Mönch Antipa aus Ararat.« Der Unbesonnene verbeugte sich hastig und langte nach seinem Käppchen, um es sich vom Kopf zu reißen, aber das Käppchen war nicht mehr da, er hatte es irgendwo verloren. »Wassilisk, wer sonst! Er, der Schutzpatron! Aus der Einsiedelei ist er gekommen. Lasst die Glocken läuten, Eminenz, lasst die heiligen Ikonen hinaustragen! Die Prophezeiung des Johannes erfüllt sich! › Siehe, ich komme bald und mein Lohn mit mir, einem jeden zu geben, wie seine Werke sind!‹ Das ist das Ende!«, heulte er auf. »Es ist alles zu Ende!«
    Die Leute aus der Hauptstadt waren durch die Nachricht vom Ende der Welt nicht zu erschüttern, sie spitzten lediglich die Ohren und rückten näher an den Mönch heran, der Gerichtsdiener hingegen, der schon angefangen hatte, den Korridor zu fegen, blieb bei diesem entsetzlichen Geschrei vor Schreck wie angewurzelt stehen, ließ seinen Besen fallen und bekreuzigte sich.
    Der Vorbote der Apokalypse konnte vor Angst und Schrecken nicht mehr zusammenhängend reden – er zitterte am ganzen Körper, und über sein kreidebleiches, von einem Bart umwuchertes Gesicht rollten die Tränen.
    Wie immer in kritischen Situationen legte der Bischof Tatkraft und Entschlossenheit an den Tag. Mitrofani wandte ein uraltes Rezept an, demzufolge das beste Mittel gegen Hysterie eine anständige Ohrfeige ist, und versetzte dem jämmerlich schluchzenden Mönch mit seiner mächtigen Hand zwei schallende Backpfeifen, woraufhin dieser sofort mit dem Zittern und Jammern auf hörte. Er riss die Augen auf und schluckte, und der Bischof nutzte die Gelegenheit, den Kurier am Kragen zu packen und ihn zur nächstgelegenen Tür zu ziehen, hinter der sich das Gerichtsarchiv befand. Pelagia, die beim Knallen der Ohrfeigen mitleidig aufgestöhnt hatte, eilte hinterher.
    Dem Archivar, der sich nach Beendigung der Gerichtssitzung gerade einen Tee hatte gönnen wollen, gab der Bischof lediglich ein Zeichen mit der Augenbraue – schnell wie der Wind war der Beamte verschwunden, und die geistlichen Personen blieben zu dritt im Archiv zurück.
    Der Bischof setzte den schluchzenden Antipa auf einen Stuhl und hielt ihm ein noch kaum angerührtes Glas Tee unter die Nase: »Hier, trink!« Er wartete, bis der Mönch, dessen Zähne ans Glas schlugen, seine zusammengeschnürte Kehle benetzt hatte, und fragte dann ungeduldig:
    »Nun, was hat sich da bei euch in Ararat zugetragen? Erzähl.«
    Die Korrespondenten waren draußen vor der verschlossenen Tür geblieben. Sie harrten eine Zeit lang aus, wiederholten ein ums andere Mal die rätselhaften Worte »Wassilisk« und »Ararat« und gingen dann, noch immer völlig entgeistert, allmählich auseinander. Eines war klar – sie alle waren Fremde und kannten sich mit unseren Sawolshsker Heiligtümern und Legenden nicht aus. Die Hiesigen, die hätten das sofort verstanden.
    Da es hingegen auch unter unseren Lesern solche geben mag, die noch nie im Gouvernement Sawolshsk waren, ja, die vielleicht nicht einmal davon gehört haben, fügen wir an dieser Stelle, bevor wir das Gespräch im Gerichtsarchiv beschreiben, einige Erläuterungen ein, die übermäßig ausführlich
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