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Die Tochter des Giftmischers - Poole, S: Tochter des Giftmischers - Poison

Die Tochter des Giftmischers - Poole, S: Tochter des Giftmischers - Poison

Titel: Die Tochter des Giftmischers - Poole, S: Tochter des Giftmischers - Poison
Autoren: Sara Poole
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Auftakt
    ROM
    SOMMER 1483
     
    Der weiße Stier stürmte über die abschüssige Gasse auf die Piazza. Lautes Gebrüll brandete auf und erschütterte die hölzernen Sitzreihen, die man rund um den Platz errichtet hatte. Inmitten der Menge klammerte sich das Mädchen an seinen Vater und fühlte, wie sein Körper bebte, als er in die Rufe der anderen einfiel.
    »Borgia! Borgia!«
    Oben auf dem Podest, das mit goldener und maulbeerfarbener Seide in den Farben der Familie verkleidet war, stand der Prinz der Heiligen Mutter Kirche in seinem roten Gewand. Das Sonnenlicht unter dem wolkenlosen Himmel war so gleißend hell, dass es die Augen blendete. Der Kardinal breitete die Arme aus, als ob er die Menge, die Piazza, den prächtigen Palazzo aus goldfarben schimmerndem Travertin und die antike Stadt in ihrer ganzen Ausdehnung umarmen wollte, die soeben zu einem neuen glorreichen Traum erwachte.
    »Meine Brüder und Schwestern«, rief Rodrigo Borgia mit
donnernder Stimme in die plötzliche Stille. »Ich freue mich über euer Kommen und als Dank für eure Treue und eure Unterstützung …«
    Er machte eine Pause, und das Mädchen spürte, wie die Menge um sie herum den Atem anhielt und sich dem Willen des Mannes ergab, der die Herrschaft über die gesamte Christenheit erlangen wollte, obgleich er sich eher zum Regenten der Hölle eignete, wie man ihm nachsagte.
    »… habe ich euch aus meiner Heimat, dem wunderschönen Valencia, einen prächtigen Bullen mitgebracht, wie unser geliebtes Rom noch keinen Zweiten gesehen hat! Ich widme euch seine Stärke, seinen Mut und seine Größe. Und sein Blut! Möge es den Boden dieser großartigen Stadt nähren! Roma Eterna!«
    »Roma! Roma! Roma!«
    Der Stier scharrte im sommerlichen Staub, warf seinen mächtigen Kopf zurück und schnaubte vernehmlich, als seine tiefschwarz schimmernden Augen die Szenerie erfassten. Mit einem Mal wurde es still. So still, dass das Mädchen sogar das Knarren der Sättel und des Geschirrs hören konnte, als sich Il Cardinales Soldaten näherten, wobei sie den Pferden mit Hilfe der Sporen die Angst austreiben mussten.
    Von den Mauern des Palazzo schallte ein Trompetensignal über die Versammlung. Eine Schar campesinos in zweifarbigen Kostümen und grellroten Perücken stürmte die Piazza, fuchtelte dem Stier mit ihren Fransenumhängen vor der Nase herum und sprang wagemutig auf ihn zu.
    » Andiamo, Toro! Andiamo! «
    In die Enge getrieben, wandte sich das Tier erneut der
Reihe der berittenen Soldaten zu. Der Anführer reckte sich im Sattel empor und grüßte den Kardinal mit einer Verbeugung. Die tödliche Spitze seiner rejón blitzte in der Sonne, als er antrabte.
    Die Menge kreischte vor Begeisterung. Der Bulle schien die Gefahr zu ahnen und stürmte dem Reiter mit gesenktem Kopf entgegen. In letzter Sekunde zügelte der rejonear sein Pferd und riss es zur Seite, bevor er sich in den Steigbügeln zu voller Größe erhob und mit seiner Lanze zustieß.
    Der Bulle brüllte, als das erste Blut zwischen seinen mächtigen Schultern hervorspritzte, über das weiße Fell rann und im Staub versickerte. Blindwütig raste er los, umrundete den Platz und suchte, wie das Mädchen vermutete, nach einem Ausweg. Stattdessen sah er sich wieder den grell gewandeten Männern und ihren wehenden Umhängen gegenüber.
    » Andiamo, Toro! Andiamo!«
    Erneut trieben sie den Stier auf den rejonear zu, der mit jedem Stoß neues Blut für die dürstende Menge fließen ließ. Wieder und wieder stieß er zu, bis das Tier taumelte und erst auf das eine und dann auf das andere Knie niederfiel. Zuletzt gab der mächtige Körper nach und sackte in den Staub, wo der blutrote Lebensstrom im Matsch versickerte.
    Trotz der Hitze stand die Kleine wie erstarrt und konnte den Blick nicht abwenden. Sie hatte nur Augen für die roten Flecken auf dem weißen Fell und für den ganz in Rot gewandeten Mann auf dem Podest, der triumphierend wie ein Bulle brüllte, während die lustvoll verzerrten Münder der Menge im grellen Sonnenlicht tanzten.
    Schließlich hob der rejonear die Lanze hoch in die Luft, bevor er zum colpo di morte ansetzte. Ein lang anhaltendes
Zittern bemächtigte sich des Bullen. Noch bevor es endgültig verebbte, stürzten sich die campesinos mit blitzenden Messern auf das Tier.
    Das Mädchen sah nicht mehr, wie sie dem Kadaver zu Leibe rückten, ihm Ohren, Schwanz und Hoden raubten und ihre Beute unter dem Jubel der Menge in die Höhe reckten. Sie starrte nur auf den Blutstrom zu
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