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Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench
Autoren: Boris Akunin
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erscheinen mögen, aber dennoch für das Verständnis des weiteren Verlaufs der Erzählung vollkommen unabdingbar sind.
    ***
    Womit sollte man am besten beginnen?
    Wahrscheinlich mit Ararat. Besser gesagt, mit Neu-Ararat, dem Kloster Neu-Ararat, dem berühmten Kloster, das sich ganz im Norden unseres weitläufigen, aber dünn besiedelten Gouvernements befindet. Dort, auf bewaldeten Inseln inmitten der Wasser des Sineje Osero, des Blauen Sees, der seinen Ausmaßen nach eher einem Meer gleicht (und im Volksmund daher auch »Blaues Meer« genannt wird), suchten von alters her heilige Mönche Zuflucht vor dem Getümmel und der Schlechtigkeit der Welt. Mit der Zeit verödete das Kloster, und auf dem ganzen Archipel verblieb nur eine Hand voll Eremiten in abgeschiedenen Zellen und Klausen, aber niemals, auch nicht zur Zeit der Wirren, erlosch das Klosterleben vollständig.
    Dafür gab es einen besonderen Grund, nämlich die Wassilisk-Einsiedelei, doch über sie werden wir später berichten, denn die Einsiedelei existierte immer für sich, unabhängig vom eigentlichen Kloster. Letzteres gelangte im neunzehnten Jahrhundert aufgrund der günstigen Bedingungen unserer friedlichen, ruhigen Zeit zu prächtiger Blüte – zunächst dank der unter wohlhabenden Pilgern in Mode gekommenen Heiligtümer des Nordens, und in allerjüngster Zeit durch die Beflissenheit des derzeitigen Archimandriten Witali II., der so genannt wird, weil es im vergangenen Jahrhundert bereits einen Klostervorsteher gleichen Namens gegeben hat.
    Dieser ungewöhnliche kirchliche Würdenträger hat Neu-Ararat zu nie gesehenem Wohlstand geführt. Seine Hochehrwürden – entsandt, ein ruhiges Inselkloster zu leiten – überlegte ganz zu Recht, dass die Mode ein flatterhaftes Wesen sei und man, solange ihr Blick nicht auf irgendein anderes, nicht weniger ehrwürdiges Kloster falle, aus dem Strom der Opfergaben den größtmöglichen Nutzen ziehen müsse.
    Er begann damit, dass er die frühere Klosterherberge, die baufällig geworden und schlecht geführt worden war, durch eine neue ersetzte, dass er eine vorzügliche Gastwirtschaft mit Fastenspeisen eröffnete und Bootsfahrten entlang der Flußarme und Buchten einführte, damit die wohlhabenden Gäste es nicht eilig hätten, diesen gesegneten Ort, der mit seiner Schönheit, seiner reinen Luft und den Reizen der Natur den besten finnischen Kurorten in nichts nachsteht, wieder zu verlassen. Danach gab er den so entstandenen Überschuss an Mitteln geschickt wieder aus, indem er sich daranmachte, allmählich eine komplizierte und überaus einträgliche Wirtschaft zu begründen, mit mechanisierten Meiereien, einer Werkstätte für Ikonenmalerei, einer Fischfangflottille und Räucherkammern, ja sogar einer kleinen Eisenwarenmanufaktur, die die besten Fensterriegel in ganz Russland anfertigt. Er erbaute auch eine Wasserleitung und sogar eine Schienenbahn von der Anlegestelle zu den Warenlagern. Einige der erfahrenen Mönche begannen zu murren, das Leben in Neu-Ararat sei nicht mehr gottgefällig, doch diese Stimmen klangen schüchtern und drangen, übertönt vom munteren Klopfen der betriebsamen Baustellen, nahezu gar nicht nach außen. Auf der Hauptinsel Kanaan ließ der Klostervorsteher eine Vielzahl neuer Gebäude und Kirchen errichten, die durch ihre solide Bauweise und Pracht verblüfften, obgleich sie sich nach Meinung von Architekturkennern nicht immer durch makellose Schönheit auszeichneten.
    Einige Jahre zuvor war eigens eine Regierungskommission herbeigereist, an ihrer Spitze der Minister für Handel und Industrie, der kenntnisreiche Graf Litte höchstselbst, um das »Wirtschaftswunder« von Neu-Ararat zu untersuchen und herauszufinden, ob es nicht möglich wäre, die Erfahrung dieser so erfolgreichen Entwicklung zum Nutzen des ganzen Imperiums zu verwenden.
    Es stellte sich heraus, dass dies nicht möglich war. Bei der Rückkehr in die Hauptstadt meldete der Graf dem Zaren, Vater Witali sei der Verfechter einer fragwürdigen ökonomischen Theorie, die den wahren Reichtum des Landes nicht in seinen natürlichen Ressourcen, sondern in der Arbeitsliebe seiner Bevölkerung sehe. Der Archimandrit habe Glück, weil seine Bevölkerung eine ganz besondere sei: Mönche, die alle Arbeiten aus klösterlichem Gehorsam durchführten, zudem ohne jede Klage. So ein Arbeiter stehe am Butterfass oder, sagen wir, an der Drehbank, denke weder an seine Familie noch an die Flasche – und rette dabei obendrein noch seine
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