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Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench
Autoren: Boris Akunin
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ganze Geschichte.
    Und nun sag mir, meine Schwester, gibt es Vergebung für meine Verbrechen oder nicht?«
    Polina Andrejewna, erschüttert von der Erzählung, schwieg.
    »Das weiß allein der Herr . . .«, sagte sie schließlich, wobei sie vermied, den reuigen Sünder anzusehen.
    »Gott wird es vergeben. Das weiß ich. Vielleicht hat er mir schon vergeben«, erwiderte Israil ungeduldig. »Aber sag du mir, als Frau: Kannst du mir vergeben? Sag die Wahrheit!«
    Sie versuchte auszuweichen:
    »Ist denn meine Vergebung so viel wert? Schließlich haben Sie mir nichts Böses angetan.«
    »Sehr viel«, versetzte der Abt entschlossen, als habe er lange darüber nachgedacht. »Wenn du mir verzeihst, dann würden auch sie mir verzeihen.«
    Polina Andrejewna wollte ihm tröstende Worte sagen, doch sie konnte nicht. Das heißt, es wäre nicht einmal schwierig gewesen, sie auszusprechen, doch sie wusste, der Mönch würde ihre Unaufrichtigkeit spüren, und das wäre noch schlimmer.
    Als sie schwieg, verdüsterte sich das Gesicht des Einsiedlers. Leise sprach er:
    »Ich wusste es . . .« Er legte ihr die Hand auf die Schulter. »Steh auf und geh. Kehre zurück in die Welt. Du darfst nicht hier bleiben. Und ich möchte mich entschuldigen, schließlich habe ich dich absichtlich hierher in die Einsiedelei gelockt. Nicht Feognosts wegen und auch nicht Ilaris wegen. Es ist nichtig, wer getötet hat und warum. Der Herr wird jedermann Gerechtigkeit widerfahren lassen, und keine einzige gute Tat wird ohne Belohnung, keine einzige böse Tat ohne Bestrafung bleiben. Die geheimnisvollen Worte sollten dich hierher locken, weil ich vor meinem Tod noch einmal eine Frau sehen und um Verzeihung bitten wollte . . . Das habe ich getan, aber mir ist nicht verziehen worden. So sei es also. Geh.«
    Er konnte es kaum abwarten, dass die Besucherin wegging, ihn in seiner Einsamkeit zurückließ, und stieß die Tür auf.
    Frau Lissizyna trat hinaus in den Stollen und hörte von neuem das kaum vernehmliche, widerliche Kreischen.
    »Was ist das?«, fragte sie erschauernd. »Fledermäuse?«
    Israil erwiderte gleichgültig:
    »Fledermäuse gibt es hier nicht. Und was nachts in der Höhle vor sich geht, weiß ich nicht. Es ist ein Ort, an dem alles Mögliche geschehen kann. Es ist schließlich nicht irgendwas, sondern ein Stück der Himmelskugel.«
    »Was?«, fragte Polina Andrejewna erstaunt. »Ein Stück der Himmelskugel ?«
    Der Mönch verzog das Gesicht und schien sich zu ärgern, dass er zu viel gesagt hatte.
    »Du darfst davon gar nichts wissen. Geh jetzt. Erzähle niemandem, was du hier gesehen hast. Aber das wirst du nicht tun, du bist klug. Verlauf dich nur nicht. Zum Ausgang musst du nach rechts gehen.«
    Die Tür schlug zu, und Polina Andrejewna stand in völliger Finsternis.
    Sie entzündete eine Kerze und lauschte auf das unbegreifliche Geräusch. Dann ging sie los.
    Allerdings nicht nach rechts, sondern nach links.
    Wassilisk
    Der Stollen, den der Mönch Israil als Zugang bezeichnet hatte, führte allmählich ansteigend immer höher. Nun waren zu beiden Seiten nackte Wände, und Polina Andrejewna überlegte, dass hier noch Platz für viele Hunderte von Leichen war.
    Das Geräusch wurde immer lauter und unerträglicher, die eiserne Kralle schien nicht über Glas zu fahren, sondern über ein wehrloses, entblößtes Herz. Einmal konnte die Lissizyna es nicht mehr ertragen, sie blieb stehen, stellte die Reisetasche auf die Erde und hielt sich die Ohren zu, auch wenn so die Gefahr bestand, dass ihre Haare an der Kerze, die sie zwischen die Finger geklemmt hatte, Feuer fingen.
    Das geschah nicht, doch ihr tropfte Wachs auf die Schläfe, und diese glühende, lebendige Berührung stärkte Polina Andrejewnas Nerven.
    Sie ging weiter.
    Der Stollen, der bis jetzt fast gerade oder wenigstens nicht merklich gekrümmt verlaufen war, machte plötzlich eine Biegung um neunzig Grad.
    Frau Lissizyna spähte um die Ecke und erstarrte.
    Weiter vorn schimmerte mattes Licht. Die Erklärung für das eigenartige kreischende Geräusch war ganz nah.
    Polina Andrejewna blies die Kerze aus und schlich, eng an die Wand gepresst, vorsichtig um die Ecke.
    Auf Zehenspitzen huschte sie lautlos voran.
    Der Stollen verbreiterte sich zu einer runden Höhle, deren Gewölbe sich hoch oben in der Finsternis verlor.
    Aber Polina Andrejewna blickte gar nicht empor – so sehr fesselte sie das Bild, das sich ihren Augen bot.
    Mitten in der Höhle lag eine ebenmäßige runde Kugel, die zu
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