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Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench
Autoren: Boris Akunin
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gewiss interessant, dachte ich, so etwas hatte ich auch noch nie erlebt.
    Das Mädchen war streng erzogen, nach Samurai-Art, sie war nur halb so groß und kaum ein Viertel so alt wie ich, und ich war in ihren Augen ein behaartes Monster, zudem meiner wichtigsten Waffe, der Sprache, beraubt – wir konnten uns überhaupt nicht verständigen.
    Nun, ich blieb in Tokio und begann, häufiger im Hause dieses Beamten zu verkehren. Wir freundeten uns an. Ich diskutierte über Politik, trank Kaffee mit Likör und schaute mir das Töchterchen an. Sie durfte offenbar erst seit kurzem dabei sein, wenn Gäste kamen, und war noch sehr scheu. Wie kann man den passenden Schlüssel zu dieser kleinen Lackschatulle finden, überlegte ich?
    Es war kein großes Problem. Erfahrung, und mehr noch Kenntnis des weiblichen Herzens konnte man mir nicht absprechen.
    Auf die übliche Weise konnte ich ihr nicht gefallen, zu sehr unterschied ich mich von den Männern, denen sie für gewöhnlich begegnete. Also müsste ich meine Fremdartigkeit ausspielen.
    Eines Tages sagte mir ihre Mama in scherzhaftem Ton, dass die Tochter mich immer mit einem Bären vergleiche – einem sehr großen Bären mit Backenbart.
    Nun gut, dann war ich eben ein Bär.
    Bei Matrosen im Hafen kaufte ich ein lebendiges Bärenjunges, einen sibirischen Braunbären, und brachte ihn ihr als Geschenk. Mochte sie sich ruhig an die Behaarung gewöhnen. Es war ein prächtiger Bär, ausgelassen und freundlich. Meine kleine Japanerin spielte von morgens bis abends mit ihm. Sie gewann ihn sehr lieb, streichelte und küsste ihn, und er fuhr ihr mit der Zunge übers Gesicht. Ausgezeichnet, dachte ich. Das Tier hat sie ins Herz geschlossen, also wird sie auch mich lieb gewinnen.
    Und wahrhaftig blickte sie nun auch den Geber mit andern Augen an, ohne Argwohn, aber voller Neugierde. Als vergleiche sie ihn mit ihrem Liebling. Ich legte mir absichtlich einen tapsigen Gang zu, ließ meinen Backenbart dichter wachsen und verlieh meiner Stimme einen brummenden Klang.
    Allmählich freundeten wir uns an. Sie nannte mich Kumatjan, was in ihrer Sprache › Bär‹ bedeutet.
    Und weiter? Das Übliche, wenn ein Mädchen im Müßiggang dahinlebt und das körperliche Erblühen Sehnsüchte weckt. Sie sucht etwas Neues, Unbekanntes, Ungewöhnliches. Und da ist ein exotischer Ausländer. Der ihr mancherlei fesselnde Dinge aus aller Welt zeigt. Postkarten aus Paris und aus Petersburg, Wolkenkratzer in Chicago. Und vor allem hatte sie sich an das Fell des Bären gewöhnt und ihre physische Scheu vor mir verloren. Bald fasste sie nach meiner Hand, bald strich sie mir über den Schnurrbart – sie fand das interessant. Und die Neugier junger Mädchen ist ein leicht entflammbares Material.
    Ich werde keine Einzelheiten erzählen, das ist langweilig. Die größte Schwierigkeit bestand darin, mich ihr, um es wissenschaftlich auszudrücken, im biologischen Sinne so weit anzunähern, dass eine Kreuzung möglich wurde. Aber als wir nicht mehr eine Japanerin und ein Bär aus Übersee waren, sondern ein unschuldiges junges Mädchen und ein erfahrener Mann, ging alles seinen Gang, wie ich es schon viele Male zuvor erlebt hatte.
    Als ich Japan verließ, war die Japanerin jedenfalls bei mir – sie hatte sich selbst eingeladen. Die Eltern werden wohl nie erfahren haben, wohin ihre Tochter entschwunden ist.
    Bis Wladiwostok liebte ich sie sehr. Auch nachher noch, als wir mit der Eisenbahn fuhren. Doch mitten in Sibirien begann mich ihre kindliche Leidenschaft allmählich zu langweilen. Ich konnte mit ihr schließlich nicht einmal reden. Sie aber entflammte nur noch heftiger in Liebe. Wenn ich nachts aufwachte, schlief sie nicht. Sie lag auf den Ellbogen gestützt da und starrte mich mit ihren Schlitzaugen unentwegt an. Bei den Frauen lodert die Liebe am heftigsten, wenn sie spüren, dass man ihrer langsam überdrüssig wird, das ist zur Genüge bekannt.
    Als wir uns Petersburg näherten, konnte ich sie nicht mehr sehen. Ich zerbrach mir den Kopf, wie ich sie loswerden könnte. Zu ihren Eltern zurückschicken? Die waren schließlich keine gewöhnlichen papa und maman, sondern Samurai. Am Ende würden sie das Mädchen noch umbringen, das wäre schade. Aber wohin mit ihr? Sie kannte keine Sprache außer ihrer Vogelsprache. Sollte ich ihr eine Abfindung zahlen? Sie würde das Geld nicht annehmen, außerdem würde sie mich nicht in Ruhe lassen, sie war krankhaft anhänglich. Sie konnte nichts, mit Ausnahme von dem, was ich
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