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Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench
Autoren: Boris Akunin
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nahm ihre Einladung an, und wir gingen in ihr Schlafzimmer.
    Es war eine merkwürdige Liebesnacht: Wir wollten einander mit unserer Kunst beeindrucken und blieben beide völlig kalt dabei. Sie, weil sie schon seit langem ausgebrannt war. Ich, weil ich etwas anderes von ihr wollte. Zum Schluss sagte sie erschöpft: › Ich begreife Sie nicht‹. Und das war der erste Schritt zum Sieg.
    Ich besuchte sie auch weiterhin, aber ich drängte mich nicht ins Schlafzimmer, und sie lud mich nicht ein. Sie beobachtete mich, starrte mich an, als suche sie etwas lange Vergessenes herauszufinden.
    Ich begann, sie über ihre Vergangenheit auszufragen. Nicht über ihr Leben als erwachsene Frau, Gott bewahre. Über die Kindheit, die Eltern, die Freundinnen auf dem Gymnasium. Das war notwendig, damit sie an eine andere Zeit erinnert wurde, als ihre Seele und ihre Gefühle noch nicht abgestorben waren. Madame Posdnjajewa antwortete zunächst kurz angebunden und unwillig, aber dann wurde sie gesprächiger – man brauchte nur zuhören. Und zuhören konnte ich.
    So überwand ich die zweite Stufe, ich gewann ihr Vertrauen, und das allein war keine geringe Tat.
    Als sie mich einige Wochen später zum zweiten Mal in ihr Boudoir einlud, verhielt sie sich schon ganz anders, nicht so mechanisch. Am Ende brach sie unvermittelt in Tränen aus. Sie war selbst furchtbar erstaunt – dreizehn Jahre lang habe ich keine einzige Träne vergießen können, sagte sie, und mit dir fange ich plötzlich an zu weinen.
    Eine Liebe wie die, mit der die Posdnjajewa mich beschenkte, hatte ich nie zuvor gekannt. Als sei ein Damm gebrochen, als würde ich von der Strömung ergriffen und mitgerissen. Es war ein wahres Wunder – zu beobachten, wie eine tote Seele zum Leben erwacht. Wie wenn in der Wüste plötzlich ein klarer Quell aus dem Sand, aus der aufgesprungenen Erde sprudelt, üppiges Grün wuchert und Blumen von unerhörter Schönheit erblühen.
    Sie schloss ihr Bordell. Das Geld, das sie durch ihre Kuppelei angehäuft hatte, verteilte sie an die Mädchen, die sie in alle vier Winde ziehen ließ. Ihre verhängnisvolle Fotosammlung vernichtete sie. Und sie selbst veränderte sich so, dass sie nicht wiederzuerkennen war. Sie wurde jünger und frischer, geradezu mädchenhaft. Vom frühen Morgen an sang und lachte sie. Zwar weinte sie auch oft, aber ohne Bitterkeit – sie vergoss einfach die über all die Jahre nicht geweinten Tränen.
    Und ich liebte sie. Ich konnte mich gar nicht genug erfreuen am Resultat meiner Arbeit.
    Einen Monat lang, vielleicht zwei, freute ich mich.
    Im dritten Monat nicht mehr.
    Eines Morgens (sie schlief noch) verließ ich das Haus, setzte mich in einen Fiaker, fuhr zum Bahnhof und reiste nach Paris ab. Ich hinterließ ihr eine Nachricht: Die Wohnung ist bis Ende des Jahres bezahlt, in der Schatulle ist Geld, verzeih, leb wohl.
    Später erzählte man mir, als sie beim Aufwachen meine Nachricht gelesen habe, sei sie nur mit einem Hemd bekleidet aus dem Haus gelaufen, die Straße hinuntergerannt und nie mehr in die Wohnung zurückgekehrt.
    Nach einem halben Jahr kehrte ich aus dem Ausland zurück. Es war schon Winter. Ich mietete ein Haus und nahm mein früheres Leben wieder auf, doch irgendetwas ging mit mir vor, ich empfand keine Freude mehr an den früheren Lustbarkeiten.
    Eines Tages fuhr ich auf dem Weg zu einer außerhalb der Stadt gelegenen Villa über den Ligowski-Prospekt, als ich sie, die Posdnjajewa, in der Gosse entdeckte, schmutzig, räudig, mit grauen Haaren, fast zahnlos. Sie konnte mich nicht sehen, weil sie völlig betrunken umhertorkelte.
    Im selben Moment war der unsichtbare Becher zum Überlaufen gefüllt. Ich zitterte am ganzen Körper, war über und über mit kaltem Schweiß bedeckt und sah, wie sich vor mir die Hölle auftat. Ich erschrak und war zutiefst beschämt.
    Ich ließ die Streunerin mitnehmen und in einem ordentlichen Zimmer unterbringen. Ich fuhr zu ihr, bat sie um Vergebung. Doch meine frühere Geliebte hatte sich erneut verändert. In ihr war keine Liebe mehr, nur Feindseligkeit und Habsucht. Der blühende Garten war vertrocknet, die wunderbare Quelle versiegt. Und mir wurde klar – die schlimmste Freveltat ist nicht, eine lebendige Seele zugrunde zu richten, sondern eine tote Seele zum Leben zu erwecken, um sie dann von neuem und endgültig zu vernichten.
    Ich vermachte der Unglücklichen mein gesamtes Vermögen und ging ins Kloster, um mich zu fangen und vom Schmutz zu reinigen. Das ist meine
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