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Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)

Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)

Titel: Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)
Autoren: Bastian Bielendorfer
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Bus Stop Boxer
    Als ich Ashley sah, war ich zum ersten Mal richtig verliebt. Was mir an ihr gefiel, kann ich bis heute nicht sagen, vielleicht war es ihr trauriger Anblick. Sie stand allein unter einem blattlosen Baum in der Schulhofmitte, über ihr glänzten ein paar fette Krähen wie schwarze Lampions in der Sonne.
    Ashley war ein monochromes Mädchen, ihre Haut war kalkweiß, ihr Haar jedoch war schwarz, ebenso ihre Kleidung, ihre Nägel, ihre Lippen, und selbst ihre nussbraunen Augen wirkten im hellen Gesicht wie schwarze Punkte. Ashley hätte sich bei ihrem Farbgeschmack verlustfrei durch die Welt faxen können, doch sie war auf anderem Wege angereist.
    Einige Meter hinter dem blattlosen Baum hatte kurz zuvor ein lila Reisebus englische Schüler und Schülerinnen herausgewürgt: rothaarige Jungen mit Sommersprossen, blonde Mädchen mit Haarbändern und Zahnspangen. Bilaterale Abkommen zwischen Gelsenkirchen und Hastings, einem kleinen Küstenort in Südengland, hatten uns unseren ersten Schüleraustausch beschert, und demzufolge überflutete nun eine Horde englischer Jugendlicher unseren Schulhof wie eine Dose Baked Beans eine Scheibe Frühstückstoast.
    Auch die späten Neunzigerjahre hielten für Jugendliche einige modische Entgleisungen parat. Die englischen Mädchen stapften genau wie die deutschen auf absurden Buffalo -Plateauschuhen durch die Gegend und überragten die Jungen nun nicht mehr nur um einen, sondern gleich um zwei Köpfe. Die Jungen versuchten dem skurrilen Anblick ihres Gegenübers durch Adidas -Sporthosen mit seitlich angebrachten Druckknöpfen und aufgeplusterten Helly-Hansen -Jacken zumindest in der Breite etwas zu entsprechen. Hätten sie noch Vokuhilafrisuren und Schnurrbärte getragen, wäre die Menschenmenge auf unserem Schulhof auch gut als Razzia im Puff durchgegangen. Wo Anfang der Neunziger noch Grunge und Metal den Trend diktierten, waren in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts Eurodance und Scooter angesagt. Als hätte man all die angenehme Andersartigkeit der ersten Dekade einmal durch den Enddarm von Godzilla geschleust. Farben zum Erblinden, Frisuren zum Verbieten und mittendrin Ashley, ein Schatten auf der Sonne.
    Ashley war ein Grufti, eine Gothin oder, wie man in Gelsenkirchen sagte, ein Leichenlappen. In ihrem Outfit wirkte sie zwischen ihren Klassenkameraden wie ein Pinguin, der versucht, sich unter Kamelen zu verstecken. Unsere Blicke trafen sich, mein Herz pochte wie eine Handwerkerkolonne mit Schlagbohrern, entweder ich hatte einen Infarkt, oder ich war verliebt. Gothic war eine Subkultur, mit der ich bisher ähnlich häufig in Berührung gekommen war wie mit dem Gefühl von Erfolg. Gruftis und ihre Welt waren mir fremd, eigentlich wie jede Subkultur, bei der es darum ging, sich vom Mainstream abzuspalten, aus der grauen Masse an gesichtslosen Klonschafen hervorzuragen. Ich wäre damals nur zu gerne ein Klonschaf gewesen, der Median, der Durchschnitt, das farblose Mittel aller Nuancen, doch das klappte natürlich nicht. Ich war nicht New Wave, Emo, Punk oder Gothic. Ich war Basti, das Lehrerkind, die kleinste Subkultur der Welt.
    Ich war fünfzehn und hatte mich mit meinem Schicksal arrangiert, mein Körper war ein Minenfeld der Pubertät, und »Freund« war ein Begriff, den ich im Lexikon nachschlagen musste. Ashley hingegen hatte sich ihre Andersartigkeit selbst ausgesucht, sie hatte ihre Person selbst erschaffen und hatte im Gegensatz zu mir nicht einfach den nächstbesten körperlichen Trümmerhaufen bezogen und abgewohnt. Ich winkte ihr unsicher zu, und unmerklich schien ein Lächeln über ihr Gesicht zu huschen, doch dann verschwand sie hinter einer Wand aus Mensch.
    »Hey you, Faggot«, brummte mich ein Berg aus Fleisch an. Meine Augen wanderten langsam über eine Platte aus Brustmuskeln hinweg zu einem stoppeligen Hals hinauf, an dessen Ende sich statt eines Kopfs ein roter Ziegelstein mit Augen befand. Das war entweder Taylor, mein Austauschschüler, oder sie vermissten im Zoo einen Gorilla. Taylor war augenscheinlich ein englischer Rugbychampion mit eckigem Schädel und einem Gesichtsausdruck, gegen den selbst Bernd das Brot wie ein Quell der guten Laune wirkte. Vielleicht mischten sich die Engländer Testosteron ins Trinkwasser? Anders war nicht zu erklären, warum Taylor schon die Physis eines kanadischen Holzfällers hatte, während bei mir höchstens die Gesichtshaut an Holzfällersteak erinnerte.
    »Fagott?«, dachte ich verwundert, komische Art der
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